Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
Vom Netzwerk:
Meter breit, zerfiel in Klumpen, und dahinter tat sich der Zugang zu einer Art Stollen auf. Josh schrammte sich die linke Handfläche an einem scharfkantigen Stein auf, aber nun, so kurz vor dem Ziel, hielt ihn nichts mehr auf.
    Ein Luftschwall blies ihm entgegen. Ein kühler, muffiger Hauch.
    Jahrhunderte alt.
    Seine Lungen füllten sich mit eintausendsechshundert Jahre alten Molekülen, begleitet vom Aroma von Jasmin und Sandelholz. Ungeachtet der klaustrophobischen Ängste, die mit Klauen nach ihm griffen, und trotz der heillosen Panik, die ihn am Vordringen zu hindern drohte, kroch Josh durch die Öffnung. Heftig nach Atem ringend, plötzlich in Schweiß gebadet, hätte er am liebsten sofort kehrtgemacht. Die Anziehungskraft des Stollens war indes mächtiger als seine Furcht.
    Der Tunnel war so schmal, dass Josh nur auf allen vieren vorwärtskam. Auf Händen und Knien kroch er voran, schlagartig in Finsternis gehüllt und von einer so erdrückenden Seelenqual ergriffen, als laste die Luft selbst tonnenschwer auf ihm. Zoll für Zoll schob er sich mühsam vor, erst fünf Meter, dann zehn, dann zwanzig und schließlich fünfundzwanzig. Ein Stück hinter sich hörte er den Professor rufen, doch aufhören kam nicht infrage: Irgendwo vor ihm musste ein Endpunkt liegen, den es zu erreichen galt.
    Schwer atmend bog er um eine Windung und hielt wie erstarrt inne. Sterben wäre ihm leichter gefallen als weiterzukriechen. Schon stellte er sich vor, wie ringsum die Wände zerfielen, wie Schutt und Geröll auf ihn herunterpolterten. So wirklichkeitsgetreu manifestierte sich seine Angst, dass er förmlich spürte und schmeckte, wie ihm Staub und Gestein den Mund und die Nase verstopften, wie sie ihn zu ersticken drohten.
    Doch vor ihm wartete etwas Bedeutendes. Bedeutender als alles andere auf der Welt.
    “Stopp! Stopp!”, brüllte Rudolfo noch immer, inzwischen jedoch wie aus weiter Ferne, die Stimme nur noch ein verzerrt hallendes Echo.
    Ach, wie gerne hätte Josh aufgehört! Trotzdem schaffte er noch einmal fünf Meter.
    “Und wenn da plötzlich ein Abgrund kommt?”, schallte es schwach von der Grabkammer zu ihm herüber. “Wenn Sie den nicht sehen und abstürzen? Ich kann Sie nicht rausholen!”
    Nein, und genau das war eine der Ängste, die Josh nun überfielen. Ein plötzlicher Einsturz, ein Hohlraum, in den er einbrechen konnte, ein tiefer Fall in unterirdische Finsternis.
    Dennoch ließ er sich weiterziehen von der im Stollen fühlbaren Energie. Beinahe einem lebendigen Wesen gleich, lockte sie ihn, flehte ihn gleichsam an, tiefer und tiefer hineinzukommen ins schattenhafte Dunkel, um zu erforschen, was dort seiner harrte, was so verteufelt lange gewartet hatte.
    “Kommen Sie zurück! Holen Sie sich wenigstens eine Taschenlampe! Das ist doch lebensgefährlich, was Sie da tun …”
    Der Professor hatte ganz recht. Josh hatte keine Ahnung, was vor ihm lag, war aber dem Ziel zu nahe, um jetzt noch umkehren zu können. Hätte er es getan – wer weiß, ob er den Mut aufgebracht hätte, sich nochmals in den Stollen zu wagen!
    Noch einen halben Meter schob er sich vor. Dann spürte er es. Seine Finger stießen auf etwas Längliches, Festes. Bemüht zu erfühlen, was es wohl sein mochte, betastete er es mit den Fingerspitzen.
    Ein Stock? Eine Art Keule?
    Die Oberfläche war leicht schartig. Das war kein Holz. Metall auch nicht.
    Nein. Er erkannte es – durch Logik ebenso wie durch einen Urinstinkt.
    Es war Knochen.
    Menschliches Gebein.

5. KAPITEL
    N ew York City – Dienstag, 02:00 Uhr
    Vier Monate nach dem unerwarteten Herztod ihrer Tante erfuhr Rachel Palmer, dass eine Frau, die im selben Block wohnte wie sie, vor der Haustür überfallen worden war, als sie in ihrer Handtasche nach ihren Schlüsseln suchte. Sehr zu ihrem Leidwesen konnte Rachel nicht verdrängen, wie unwohl sie sich danach in dem braunen Klinkerreihenhaus fühlte: Beim Öffnen der Haustür andauernd über die Schulter gucken, im Eiltempo die Treppe hinauf, dann rasch den Riegel vorlegen und nachts nie richtig durchschlafen können. Als sie ihrem Onkel Alex gegenüber erwähnte, dass sie mit Umzugsgedanken spielte, schlug er ihr vor, vorübergehend in seinem feudalen Doppelhaus an der Ecke Lexington Avenue und 65. Straße zu wohnen.
    Er sagte und zeigte es zwar nie, aber sie wusste, dass er einsam war. Onkel Alex und Tante Nancy waren unzertrennlich gewesen, wie es bei kinderlosen Ehepaaren häufig vorkommt, und wenngleich er erst zweiundsechzig

Weitere Kostenlose Bücher