Der Memory Code
Es tat sich nichts. Er starrte auf das Display. 911? Wie konnte er annehmen, dass die Notrufnummer in Italien dieselbe war wie daheim in den USA? Wahrscheinlich war’s 112 – wie in den meisten europäischen Ländern; das wusste er noch von seinen vorherigen Reisen.
Er tippte die Nummer ein und war im Handumdrehen verbunden. “ Pronto ?”
“Notfall!”, schrie er, sobald er die Stimme hörte. “ Emergenza !” Offensichtlich hatte man ihn verstanden, denn die Stimme sagte “Sì”, und dann wurde er anscheinend durchgestellt. Während er wartete, fragte er sich, was er sagen und tun sollte, falls er mit Englisch nicht weiterkam. Sein Italienisch reichte mit Sicherheit nicht aus. Aber das sollte seine geringste Sorge sein.
“Ich verstehe Sie”, antwortete die Frau in der Notrufzentrale auf Englisch. “Sie brauchen einen Krankenwagen. Wo befinden Sie sich, Signore?”
Eine Adresse! Eine Bagatelle im Grunde. Nur hatte Josh nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Er senkte den Blick; der Professor hatte die Augen geschlossen.
“Professor Rudolfo? Hören Sie mich? Ich muss die Adresse durchgeben! Wo sind wir hier? Können Sie mich hören?”
Keine Reaktion.
Josh schilderte der teilnahmsvollen Dame am anderen Ende die Lage. “Er reagiert nicht. Ich fürchte, er stirbt. Und ich weiß nicht, wo wir hier sind.”
“Haben Sie irgendwelche Orientierungspunkte?”
“Ich bin hier fünf Meter unter der Erde.”
“Gehen Sie nach oben. Gucken Sie sich um. Schauen Sie nach einem Schild, einem Ortsnamen, einem Gebäude! Irgendwas muss doch da sein!”
“Dann muss ich den Verletzten allein lassen.”
“Ja, aber das geht jetzt nicht anders.”
Er beugte sich zu dem Liegenden hinunter. “Ich muss kurz nach oben, Professor.”
Rudolfo schlug die Augen auf. Josh war, als habe er die Frage gehört und wolle nun Auskunft geben, wo sie sich befanden, aber der Blick des Professors war gar nicht auf Josh gerichtet. Er irrte stattdessen hektisch durch die Kammer und verhielt schließlich auf den sterblichen Überresten der Frau, die hier vor so langer Zeit ihr Leben ausgehaucht hatte. Dann verlor der Verwundete das Bewusstsein.
Auch Josh blickte zu der Mumie hinüber. “Pass auf ihn auf!”, flüsterte er, ohne zu merken, wie absonderlich er sich hier verhielt.
Obwohl er die Leiter so schnell wie möglich hinaufkletterte, kam es ihm doch unendlich langsam vor. An der Oberfläche angekommen, ließ er den Blick durch die Umgebung streifen.
“Ich bin auf dem Lande! Auf einem Feld”, rief er hastig ins Handy. “Zypressen … Eichen …” Er drehte sich um. “Hinter mir ein Hügel. Ungefähr vierhundert Meter weg eine Art Tor, Teil eines Gebäudes … sehr alt …”
“Das nützt mir nichts. Keine Orts-oder Straßenschilder?”
“Verdammt noch mal, dann hätte ich’s doch schon längst …” Seine Stimme wurde laut und hektisch.
“Aber eine Straße muss da doch sein! Suchen Sie eine Straße!”
“Okay. Bleiben Sie dran. Ich werde schon eine finden.”
Er trabte den sanft geschwungenen Abhang hinunter bis zur Chaussee und blickte nach links und nach rechts. Es war aber nur ein namenloses Stück einer zweispurigen Landstraße, die zur Rechten eine Biegung machte, sodass man nicht sehen konnte, wohin sie führte. Linkerhand dieselbe Landschaft: Zypressen, üppige Felder in leuchtendem Grün, weit im Hintergrund Dächer in Terrakotta. Nichts Genaues, das ihm über den eigenen Standort Auskunft gegeben hätte.
Zum Teufel! Irgendjemand musste doch sagen können, wie diese Gegend hieß! Und zwar nicht nur der Mann, der sterbend auf dem Boden der Krypta lag!
“Wie heißen Sie?”, fragte er die Frau in der Notrufzentrale. “Ich rufe jemanden an, der die Adresse kennt. Danach rufe ich Sie zurück!”
“Mein Name ist Rosa Montanari, aber ich kann in der Leitung bleiben und Sie verbinden. Geben Sie mir die Nummer.”
Malachai Samuels meldete sich nach dem zweiten Klingeln. “Hallo?”
“Ich habe keine Zeit für lange Erklärungen. Setz dich sofort mit Gabriella Chase in Verbindung und frag sie nach der Adresse der Ausgrabung.”
“Wir haben uns gerade zum Frühstück niedergelassen. Kommst du denn nicht?”
“Gib sie mir!”
“Sag mir doch erst mal …”
Josh unterbrach ihn. “Ich kann jetzt nicht! Es ist ein Notfall!”
Eine kurze Pause entstand, in der Josh hörte, wie Malachai wiederholte, was er gesagt hatte. Dann eine Frauenstimme, tief, silbrig und bang.
“Hallo? Gabriella
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