Herzüberkopf (German Edition)
Erste Worte und ein Duft
Ein Abendrot als Anfang einer Sonnenzeit.
Jede Stunde hält am Wendepunkt des Tages eine Tür zum Licht bereit.
Sie betrat das Ufer des Sees zu einer Stunde, als die Sonne den Himmel glutrot färbte und die ersten Tannenspitzen an den Sicht-Enden des Sees zu berühren schien. Ihre schlanke Figur wirkte grazil in dem langen, petrolblauen Baumwollkleid. Rasch entledigte sie sich demselben und in dem wundervollen Abendlicht glänzte ihre helle Haut goldfarben zum Kontrast ihres dunkelblauen Bikinis. Das alles wurde durch den ruhigen See unterstützt, der seine Lichtreflexe in kleinen Sprenkeln munter auf ihre Haut malte. Noch während sie vorsichtig über die vielen Steine zum Wasser tapste, richtete sie ihre Haare und zog das Haargummi enger. Langsam und zielbewusst, fast einem Ritual gleich, stieg sie in das Wasser, tauchte kurz danach ein und schwamm ein ganzes Stück hinaus.
Seit Tagen wiederholte sich diese Szene, die sich vor den irritierten Blicken Louis‘ abspielte. Schon beim ersten Mal hatte er aufgehört zu schreiben, sein Manuskript weggelegt und wie verzaubert fasziniert dieser Schwimmerin nachgesehen. Dabei hatte er lange genug am Seeufer nach einem Platz gesucht, an dem er gerade um diese Zeit seine Ruhe finden konnte, um nachzudenken, die Stille zu genießen und um abzuschalten. An diesem Platz, ganz nah am See, hatte Louis den Ort gefunden, an dem er das Manuskript seines neuen Romans fertigschreiben wollte. Hier waren kaum Badegäste, da das Ufer unzählige Steine säumte und für empfindliche Füße ungeeignet war. Die meisten Badegäste tummelten sich einige hundert Meter entfernt an einem schönen Sandstrand. Seit einigen Tagen kam Louis fast immer um die gleiche Zeit zum See, schwamm zuerst ausgiebig, um sich, erfrischt und sich dem Alltag entledigt, im Anschluss auf einer Decke sitzend, mit dem Rücken an einen mächtigen Stein angelehnt, seiner Aufgabe zu widmen. Jedes Mal schrieb er bis das Tageslicht gar nichts mehr verschenkte, packte danach seine Sachen ein und fuhr nach Hause. Und eben schon seit Tagen kam jene Schwimmerin an das Ufer, etwa zwanzig Meter von Louis‘ Platz entfernt und widmete sich ihrer offensichtlichen Wonne: dem Schwimmen. Schon zweimal hatte Louis darüber nachgedacht, sie einmal anzusprechen. Sein Interesse galt vor allem dem gleichen Sinn für dieses allabendliche Bad im See. Doch es gab kaum eine Chance dazu, ohne gleich als plumpe Anmachnummer zu gelten, einfach hinzugehen oder ihr gar etwas zuzurufen. Zeit blieb auch keine, denn kaum dass sie aus dem See wieder entstiegen war, trocknete sie sich mit dem langen Frottee-Handtuch ab, saß danach kurz meditierend auf einem Stein und sah auf den See hinaus. Wenige Atemzüge später löschte sich die Sonne hinter den Schwarzwaldbergen im Westen des Schluchsee. Danach dunkelt es immer rasch und ebenso wird es kühl auf den beinahe 1000 Höhenmetern.
Kaum war die Sonne weg, stand die Schöne stets auf, zog sich das Kleid über die nassen Badesachen und verließ den Strand. Louis hatte nie bemerkt, dass sie ihn sehr wohl gesehen hatte und ihn, wenn auch nur kurz und unauffällig, betrachtete und sich keinen Reim darauf machen konnte, was dieser Mann an ihrem Platz, nämlich dem Stein dort, schon seit Tagen und immer um die gleiche Zeit machte. Schwimmen sah sie ihn nie – er schrieb etwas und schaute ihr auch oft nach.
Von jenen Gedanken hatte Louis keine Ahnung. Er sah nur, wie ihr nasser Bikini durch das übergestreifte Kleid drückte und wie sie den Strand verließ. Dabei dachte er sich, dass sie irgendwo in der Nähe wohnen musste.
An diesem Abend war es außergewöhnlich warm. Und nicht wie sonst, waren in fast ebensolcher Entfernung wie zu ihren Sachen, zwei junge Männer, die am Ufer saßen und so wie Louis es merkte, der Schwimmerin ebenfalls nachsahen. Der heiße Juli-Tag ging zu Ende und wie selbstverständlich ging Louis nun auch hinunter zum See, während die unbekannte Schwimmerin, die ihm irgendwie doch schon vertraut schien, sich langsam wieder dem Ufer näherte. Louis setzte sich unweit ihrer zurückgelassenen Sachen am Ufer auf einen Stein und wartete. ´Es muss wohl seltsam aussehen, vom Wasser aus, wie sich da plötzlich drei Männer am Ufer aufhalten, so … ganz und gar zufällig´, dachte Louis und beobachtete die zwei anderen, welche eindeutig warteten und albern waren. Als die Schwimmerin Boden unter ihren Füßen spürte watete
Weitere Kostenlose Bücher