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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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den Auslöser drückte. “Was haben Sie mit dem Treuebruch der Vestalin gemeint?”
    “Das war vielleicht der falsche Ausdruck. Ich meinte den Bruch ihres Gelübdes. Verstehen Sie?”
    “Gelübde? Was für ein Gelübde? Waren die Vestalinnen etwa Nonnen?”
    “Eine Art heidnische Nonnen, sì . Beim Eintritt in den Orden legten sie ein Keuschheitsgelübde ab. Der Verlust der Jungfräulichkeit wurde mit dem Tode bestraft und die Frevlerin lebendig eingemauert.”
    Josh spürte, wie er von einem Gefühl erdrückender Schwermut befallen wurde. Ganz von selbst betätigte er nochmals den Auslöser. “Was? Weil sie sich verliebt hatte?”
    “Sie sind ein Romantiker. Rom wird Ihnen gefallen.” Rudolfo lächelte. “Jawohl, weil sie sich verliebt oder der Fleischeslust nachgegeben hatte.”
    “Aber warum?”
    “Sie müssen wissen, dass die Religion im alten Rom auf einem strengen Kodex basierte, der Wahrhaftigkeit, Ehre und persönliche Verantwortung ebenso verlangte wie Unerschütterlichkeit und Hingabe. Die alten Römer glaubten, dass jedem Wesen eine Seele innewohnt, waren aber gleichzeitig abergläubisch. Sie verehrten Götter und Geister, die jeden Aspekt ihres Lebens beeinflussten. Wurden alle Rituale und Opfer befolgt, waren die Götter zufrieden und halfen den Menschen. Falls nicht, folgte die Strafe auf dem Fuße. Im Gegensatz zu landläufigen, aber irrigen Auffassungen war die antike Religion recht human. Heidnische Priester durften heiraten und Kinder haben und …”
    Der schwache, lockende Duft von Jasmin und Sandelholz drang Josh in die Nase. Er musste sich bewusst zusammenreißen, um Rudolfos Vortrag weiter zu folgen. Fast war ihm, als habe er die Wandmalereien und das Labyrinth unter seinen Füßen schon immer gekannt und bis zu diesem Moment nur vergessen. Erneut erschütterten ihn jene Empfindungen, wie er sie seit dem Anschlag stets in seinen wachen Albträumen erlebte: das langsame Abgleiten in die Tiefe, die schwingende Wellenbewegung, das gespannte Prickeln in Armen und Beinen, das Eintauchen in jene Atmosphäre, in der sogar die Luft selbst dicker und schwerer war.
    Er rannte durch den Regen, die durchgeweichte Robe schwer auf den Schultern. Der Boden unter seinen Füßen war lehmig. Geschrei drang an seine Ohren. Er stolperte, stürzte, rappelte sich mühsam hoch.
    Konzentrier dich !, tönte es in einem anderen Winkel von Joshs Gehirn, der in der Gegenwart verharrte. Konzentrier dich! Durch die Linse fixierte er den Professor, der immer noch redete und seine Worte so heftig mit Gesten untermalte, dass der Lichtstrahl wild durch die Grabkammer zuckte, kreuz und quer, von einer Ecke in die andere. Während Josh ihm mit der Kamera folgte, lockerte sich der starre Griff um seinen Körper. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    “Alles in Ordnung?”
    Er hörte Rudolfos Frage wie durch eine Glastür.
    Nein. Es war mitnichten alles in Ordnung.
    Sechzehn Monate zuvor hatte er sich im Auftrag der Presseagentur hier in Rom aufgehalten – zur falschen Zeit am falschen Ort, wie sich erweisen sollte. Er dokumentierte gerade einen Disput zwischen einem Sicherheitsposten und einer Frau mit Kinderwagen, als die Bombe hochging. Der Selbstmordattentäter, zwei Unbeteiligte und Andrea Carlucci, der Sicherheitsbeamte, kamen ums Leben; siebzehn weitere Menschen wurden verletzt. Weder war ein Motiv für den Anschlag ersichtlich, noch hatte sich eine Terroristengruppe zu dem Attentat bekannt.
    Die Ärzte gestanden ihm später, sie hätten ihm anfangs keine Überlebenschance eingeräumt. Als er schließlich achtundvierzig Stunden nach der Explosion im Krankenhaus zu sich kam, begannen ganz allmählich zusammenhanglose Fragmente an die Oberfläche seines Bewusstseins zu trudeln. Erinnerungsfetzen. Sie handelten jedoch von Menschen, denen er nie begegnet war, an Schauplätzen, die er niemals besucht, und in Epochen, in denen er nie gelebt hatte.
    Keiner der Ärzte konnte erklären, was da mit ihm vorging, auch nicht die Psychiater und Psychologen, die er nach seiner Entlassung aufsuchte. Sicher, es gab Anzeichen von Depression – nicht unerwartet nach einem beinahe tödlich verlaufenen Anschlag, wie er ihn erlebt hatte. Selbstverständlich konnten als Folge von posttraumatischem Stress auch Flashbacks auftreten. Allerdings nicht von der Art, wie sie ihn heimsuchten: Bilder, die sich so tief in seine Gedanken einbrannten, dass ihm keine Wahl blieb, als sie wieder und wieder zu sehen. Er zermarterte sich das

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