Ratschlaege für ein erfuelltes Leben
Vorwort
von Fabrice Midal
D ie Lehre des Buddha spielt heute im Westen eine immer größere Rolle. Die Bekanntheit des Dalai Lama geht nicht zuletzt darauf zurück, dass er als lebendiges Symbol dieser Tradition gilt. Er zeigt uns, dass der Buddhismus ein authentischer spiritueller Pfad ist, der unsere grundlegendsten Bedürfnisse erfüllt. Dabei erinnert er uns beständig daran, dass Spiritualität kein Weg ist, der in ein nebulöses Jenseits führt, sondern unser tägliches Engagement fordert. Sie ist kein Weg, uns aus unserer Verantwortung zu stehlen, sondern vielmehr einer, auf dem wir ihr spontan entgegengehen. Ein Weg, der keine Gleichgültigkeit zulässt und uns vielmehr Liebe und Mitgefühl lehrt.
Der Buddhismus hat mindestens zwei erstaunliche Aspekte. Zum einen zeigt er genauestens auf, wie wir denken und wie wir uns Tag für Tag von unseren emotionalen Konflikten überrollen lassen. Den Buddhismus zu studieren heißt, dass wir verstehen, wie wir die Realität sehen. Wir können in uns lesen wie in einem Buch. Einer der Grundsteine dieser Tradition ist die klare Erkenntnis dessen, was ist. Wir lassen uns nicht mehr von den Schleiern unserer Meinungen, Ängste und Sehnsüchte einhüllen. Wir lernen, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Daher ist der Buddhismus unmittelbar mit unserer konkreten Erfahrung verknüpft.
Andererseits bemüht sich diese Lehre so peinlich genau zu beschreiben, was ist, dass wir häufig den Eindruck haben:
»Genauso geht es mir auch.« Wir haben immer wieder das Gefühl, wir würden das alles schon kennen: »Ich wusste doch, dass Mitgefühl der einzige Weg ist, um glücklich zu werden, aber irgendwie hatte ich es vergessen.«
Doch gerade aus diesem Grund verlieren wir mitunter aus den Augen, wie großartig diese Lehre ist, und verstehen die buddhistische Erfahrung falsch. Diese Tradition ist einfach, sie spricht direkt unser Herz an, ohne den Umweg über die Theologie oder Metaphysik zu nehmen, sie will Weg sein, nicht Religion oder Philosophie – aus ebendiesen Gründen aber erscheint uns ihre Einfachheit manchmal als gar zu simpel. Das Einfache aber ist erst einfach, wenn man seine Komplexität gemeistert hat – nicht, weil wir aus Feigheit davor zurückgescheut sind. Das Einfache verweigert sich nur dem selbstverliebten Kunstgriff, mit Denkfaulheit hat es nichts zu tun. Oder, wie Martin Heidegger in seinem Text Der Feldweg sagt: »Den Zerstreuten erscheint das Einfache einförmig. Das Einförmige macht überdrüssig. Die Verdrießlichen finden nur noch das Einerlei. Das Einfache ist entflohen. Seine stille Kraft versiegt.«
Es ist ein Widerspruch in sich, den Buddhismus als simplen Weg der persönlichen Entwicklung zu betrachten, der uns vom Stress befreit und uns billigen Trost verschafft. Sein Ziel ist weit höher angesiedelt. Dass er jedem zugänglich ist und von allen verstanden werden kann, heißt schließlich nicht, dass er auf die große Vision verzichtet. Auf diese Weise versucht er vielmehr, ihr treu zu bleiben.
Aus ebendiesem Grund lehrt der Dalai Lama gerade im Westen immer wieder die subtilsten Aspekte des Buddhismus und stützt sich dabei stets auf die großen Meister der Vergangenheit.
Das ist ein bisschen so, als würde der Papst nach Asien reisen, um dort von Nikolaus von Cues, Meister Eckhart oder Madame Guyon zu sprechen. Auch dies ist eines der großen Geheimnisse des Dalai Lama: Seine Belehrungen sind ungeheuer tiefgründig. Sie wirken leicht verständlich, was nur daran liegt, dass er auch tatsächlich verkörpert, wovon er spricht, und nicht daran, dass er die Lehren etwa vereinfacht darstellen würde.
Es ist das große Verdienst von Catherine Barry, diese beiden Aspekte der Lehren des Dalai Lama eingefangen zu haben: sein Verankertsein in der Tradition und sein Bemühen, von Herz zu Herz zu sprechen. Tradition ohne Herz wäre steriles Bücherwissen, Herz ohne Tradition billige Gefühlsduselei.
Der Dalai Lama steht als Mensch für konkretes, fassbares Mitgefühl. Wer das Glück hatte, je in seiner Nähe gewesen zu sein, weiß, dass dieser Mann von Weisheit und Mitgefühl, Liebe und Toleranz nicht nur spricht – er ist wie kein anderer der Inbegriff dieser Eigenschaften. Wer ihn trifft, wird von einer Welle des Mitgefühls überflutet, die niemanden kaltlässt. Doch er vergisst auch nie, uns daran zu erinnern, dass dieses Mitgefühl in der Meditation über tiefgründige historische Texte des Buddhismus verankert ist, die in seinen Augen die stets
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