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Der Mensch vom Mars. Roman.

Der Mensch vom Mars. Roman.

Titel: Der Mensch vom Mars. Roman. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Redaktion und Beratung: Franz Rottensteiner
    Originaltitel: Cz ³ owiek z Marsa. Erschienen 1946 in der Zeitschrift
    Nowy swiat przygód, Kattowitz
    Umschlagmotiv: © Morimoto/JCA/Transglobe, 1991
     
    suhrkamp taschenbuch 2145
    Erste Auflage 1992
    © Stanisław Lem
    © der deutschsprachigen Ausgabe Insel Verlag
    Frankfurt am Main 1989
    Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
    des Insel Verlags, Frankfurt am Main
    Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung
    durch Rundfunk und Fernsehen
    sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile.
    Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
    Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
     
    2 3 4 5 6 – 97 96 95 94 93
     
    Der Mensch vom Mars
     
     
    1. Kapitel
     
    Die Straße brodelte. Das Rattern der Straßenbahnwagen, das Hupen der Autos, das Gebrumm der vorbeirasenden Trolleybusse, das Schrillen der Signale und ein Gewirr von Stimmen verschmolzen in der dunkelblauen Luft, die von Lichtbündeln aller möglichen Farben und Schattierungen in Streifen von Dunkelheit zerschnitten wurde. Die Menschenmassen bildeten eine endlose Schlange, die die Gehsteige füllte und grell in den Lichtquadraten der Auslagen und in der Halbdämmerung schimmerte, in die die Häuser versunken waren. Der frisch gesprengte Asphalt zischte unter Hunderten von Autoreifen. Die schwarzsilbern glitzernden Karosserien langer Wagen leuchteten eine nach der anderen auf.
    In die Menge eingezwängt ging ich dahin, ein untrennbares Molekül von ihr, ohne Ziel und Gedanken, und ließ mich wie Kork auf der Woge dahintreiben.
    Die Straße keuchte, rumorte und donnerte, Lichtfluten und Schwaden schweren Parfums ergossen sich über mich, ab und zu drang der scharfe Duft südlicher Zigaretten zu mir, manchmal sogar das Süßlich-Stickige von Opiumrauch. An den Hausfassaden kletterten die Neonbuchstaben der verlöschenden und wieder aufflammenden Leuchtreklamen in wahnwitzigem Tempo auf und ab, Lichtfontänen sprudelten und irre Feuerwerksraketen und Leuchtkörper zischten, die über den Köpfen der Menge niedergingen und ihren letzten Glanz versprühten.
    Ich gelangte unter riesige, lichtdurchflutete Portale, zwischen Reihen unbekannter Bauwerke, eingekeilt in eine vielsprachige Menschenmenge, und war doch einsamer als auf einer unbewohnten Insel. Meine Hand in der Tasche spielte mechanisch mit zwei Fünf-Cent-Münzen, die mein ganzes Vermögen darstellten. An der Kreuzung zweier großer Straßen, deren steinerne Rachen sich in der Ferne erstreckten, mit ihren in der Perspektive immer kleiner werdenden Ampeln, deren Rumpf mit Lichtmosaiken gespickt war, löste ich mich aus der Menge und trat an den Gehsteig.
    Die Menge wälzte sich über die Straße, wie von einer riesigen Schleuse ausgespien, je nach der Farbe der blinkenden Lichter. Zugleich dröhnten, heulten und schrillten die Motoren riesiger Autos, deren Bremsen von Zeit zu Zeit ohrenbetäubend quietschten. Ein vorbeihastender Zeitungsverkäufer drückte mir irgendeine unnötige Zeitung in die Hand, die ich erstand, um ihn loszuwerden. Ich steckte sie in die Tasche und sah mich weiter um. Die Menge veränderte sich ständig, war aber doch immer gleich. Zwei Straßen kreuzten sich hier, der Asphaltrachen der Kreuzung ließ immer nur einen Bruchteil der Menschenmasse durch, zäh wie Kaugummi, immer abwechselnd mit den glänzenden Blechkarosserien der Autos. Aus einem schmalen Straßenstreifen kam plötzlich ein mächtiger Schatten geschossen und hielt vor mir mit einem leisen Quietschen der Reifen. Es war ein Buick, dessen linkes Vorderfenster heruntergekurbelt wurde. Aus dem Wageninneren drang eine Stimme:
    »Was ist das für eine Zeitung?«
    Gleichzeitig wies eine in einem dicken Autohandschuh steckende Hand auf den weißen Papierzipfel, der aus meiner Tasche ragte.
    Die ganze Frage, die Art und Weise, wie sie gestellt wurde, ebenso wie ihr Inhalt, war höchst sonderbar, doch das Leben hatte mich gelehrt, mich über nichts zu wundern, schon gar nicht in einer Großstadt. Ich holte die Zeitung hervor (denn ich kannte ihren Titel nicht) und erwiderte: »Die New York Times!«
    »Und den wievielten haben wir heute? Welchen Tag?« fragte dieselbe Stimme. Dieses dumme Spiel ging mir auf die Nerven.
    »Freitag«, erwiderte ich, um den Kerl loszuwerden.
    Im selben Augenblick öffnete sich die Wagentür, und die Stimme sagte:
    »Steigen Sie bitte ein.«
    Ich

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