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Der Mensch vom Mars. Roman.

Der Mensch vom Mars. Roman.

Titel: Der Mensch vom Mars. Roman. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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hierherzugelangen?« Die letzten Worte sprach er fast zischend aus, wobei er die Zähne zeigte, die noch bleicher waren als das Gesicht. Die anderen standen immer noch unbeweglich da, mit glotzenden Augen, weder drohend noch erwartungsvoll. Langsam ging mir ein Licht auf. Eines wußte ich schon: Es waren keine Verrückten. Nein, ich war ein verdammter alter Narr, der in eine riesige häßliche Geschichte hineingestolpert war.
    »Mein Herr«, begann ich. Dieser joviale Ton war zwar nicht am Platz, ich versuchte jedoch, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und fuhr fort: »Ich bin, das heißt, ich war Reporter der ›Chicago World‹ ... aus gewissen Gründen wurde ich vor zwei Monaten entlassen. Auf der Suche nach Arbeit kam ich nach New York. Ich bin schon einige Wochen hier, habe aber nichts gefunden, und die Art und Weise, wie ich hierher kam, war – ich versichere es Ihnen – reiner Zufall. Jeder kann doch eine ›New York Times‹ haben?«
    »Und auf die Frage nach dem Wochentag am Mittwoch antworten, es sei Freitag – nicht wahr?«
    Darauf meldete sich zum ersten Mal ein großer, magerer Mann mit Brille zu Wort. Ich wandte mich ihm zu und bemerkte dabei, daß die Tür blockiert war. Im Türrahmen stand der Fahrer mit erstarrtem, steinernem Gesicht, ganz ohne jeden Ausdruck, und füllte mit seinem Körper völlig den Ausgang, was mir gar nicht paßte. Ich begriff, daß man mir nicht glaubte.
    »Meine Herren«, begann ich. »Es handelt sich um ein dummes Zusammentreffen von Zufällen. Bitte, lassen Sie mich gehen ... ich weiß doch gar nichts, verstehe nichts, ich weiß nicht einmal, wo ich mich jetzt befinde ...«
    »Sie haben wohl immer noch nicht begriffen ...«, sagte der Mann mit dem bleichen, schweißüberströmten Gesicht langsam. »Sie können hier nicht weg.«
    »Jetzt nicht. Wann denn?«
    »Niemals.«
    Als dieses Wort fiel, wurde alles irgendwie leichter. Jetzt war alles klar. Die vier zündeten sich langsam, ohne sich zu beeilen, Zigaretten an, setzten sich nahe der kleinen Öllampe hin, und ich schaute zu. Ich folgte ihren Bewegungen mit großer Neugier, sah in den grell erleuchteten Raum auf das Gesicht des vor mir stehenden Menschen, der das Urteil über mich sprechen würde. Ich sollte doch wohl etwas sagen? Ich hatte vor zu flehen, zu überzeugen, detailliert zu erklären. Zu argumentieren. Als ich aber diese fahlen blauen Augen sah, ganz fern, wurde mir klar, daß jedes Wort nur Verschwendung wäre.
    »Ich verstehe gar nichts«, sagte ich und richtete mich auf. Ich war müde und hungrig. »Ich habe keine Ahnung, wofür ich sterben soll. Oder wozu. Aber selbst die Kannibalen füttern ihre Opfer – bitte, ich habe Hunger.« Damit trat ich an den Tisch heran, holte mir eine Zigarette aus dem Etui und steckte sie an der Petroleumflamme an.
    In diesem Augenblick bemerkte ich, daß die Männer einander ansahen – dann über meinen Kopf hinweg auf den blickten, der mit mir gesprochen hatte, als sei er ihr Anführer. Darauf erstarrten sie wieder in Bewegungslosigkeit. Der Anführer sah mich an. Ich ließ diese Musterung gleichgültig über mich ergehen. Die Tür war versperrt von einer Körpermasse, die ich auf zweihundert Pfund schätzte und die den Zugang zu der Klinke verstellte. Ich war unausgeschlafen, müde, hungrig – ein Kampf war aussichtslos.
    »Bitte, geben Sie ihm etwas zu essen«, sagte der fahle Mann. »Und kümmern Sie sich um ihn. Aber gut!« Dieses Wort ließ den gedrungenen Rücken des Fahrers schrumpfen. Schweigend öffnete er die Tür und gab mir ein Zeichen.
    »Gute Nacht, meine Herren«, sagte ich und folgte ihm. Die Tür schlug zu, ich trat in den halbdunklen Korridor hinaus. In diesem Augenblick packten mich zwei starke Hände an den Gelenken, ein Knacken war zu vernehmen, und ich spürte das kalte Eisen von Handschellen.
    »So behandelt ihr eure Gäste?« fragte ich, ohne die Stimme zu heben.
    Der Fahrer und sein in der Dunkelheit unsichtbarer Helfer, der mir die Handschellen angelegt hatte, schienen nicht sehr gesprächig zu sein. Einer der beiden tastete gründlich meine Taschen ab, wobei er nichts Verdächtiges fand, und schob mich leicht nach vorn. Ich verstand es als Einladung zum Abendessen. Wir gingen eine gute Minute durch die ägyptische Finsternis. Plötzlich blieb mein Entführer so schnell stehen, daß ich fast auf die jählings vor mir aus dem Boden geschnellte, bis dahin unsichtbare Wand geprallt wäre. Ein dumpfes Gerassel war zu hören, eine Tür öffnete

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