Der Minister und das Mädchen - Kriminalroman
mir geredet.«
Der Zynismus war nicht zu überhören. Das Vater-Sohn-Verhältnis im Haus Schwarz schien nicht unverkrampft zu sein.
Christians Oberlippe zuckte. »Seit dieser Nacht kann ich an nichts anderes denken. Ich bin völlig blockiert. Ich gehe zwar jeden Tag brav zur Uni, höre mir Vorlesungen und Seminare an, aber anschließend habe ich keine Ahnung, was der Professor gesagt hat. Ich frage mich immer und immer wieder, was ich falsch gemacht habe. Warum ausgerechnet ich?«
»Sie meinen, Sie fragen sich, warum Ihnen die Nerven durchgegangen sind?«
Seine Stimme wurde schrill. »Ich habe diese Frau nicht zusammengeschlagen und vergewaltigt. Ich weiß nicht, warum sie mir das anhängen will. Ich bereue vieles: dass ich mit ihr gesprochen habe, dass ich sie in ihre Wohnung begleitet habe, dass ich sie gefesselt habe. Doch das, was man mir vorwirft, habe ich nicht getan.«
»Sie hatten auch keinen Blackout, ein paar Minuten, an die Sie sich nicht mehr genau erinnern können?«
»Nein, absolut nicht. Ich neige nicht zur Gewalttätigkeit. Schon als Kind habe ich keine Hunde gequält oder mich mit anderen Jungs geprügelt. Ich verabscheue körperliche Gewalt.«
»Herr Schwarz«, sagte ich sanft, »ich arbeite für Ihren Vater und nicht für die Staatsanwaltschaft. Es spielt keine Rolle, ob Sie die Tat begangen haben oder nicht. Von mir haben Sie nichts zu befürchten. Allerdings würde es meine Arbeit wesentlich erleichtern, wenn ich die Wahrheit wüsste.«
»Ich war’s nicht«, fuhr er mich an. »Wann kapieren Sie das endlich?«
»Na schön.« Ich lehnte mich zurück. »Wer war’s dann?«
Er wedelte mit dem Zopf. »Keine Ahnung.«
»Gudrun Benningdorf wird sich nicht selbst krankenhausreif geschlagen haben.«
Bei der Erwähnung des Namens zuckte er zusammen. Sein Gesicht wurde verschlossen.
»Okay«, fuhr ich fort, »fangen wir von vorne an. Kannten Sie Gudrun schon vor dem besagten Abend?«
»Nein, ich habe sie auf der Party zum ersten Mal gesehen.«
»Wie hat sie sich vorgestellt?«
»Sie sagte, sie sei neu in Münster, kenne hier kaum jemanden, vorher habe sie in Tübingen studiert. Wir haben über alles Mögliche geredet, Studiengänge, Abschlüsse, Berufsaussichten, das Übliche eben.«
»Klingt nicht sehr aufregend.«
»War es auch nicht. Was sich zwischen uns abspielte, lief nicht auf einer verbalen Ebene.«
»Sondern?«
»Na, so wie sie mich anguckte. Sie hat diesen gewissen Touch. Da kribbelt’s sofort im Bauch. Ein Blick, und du weißt, es könnte klappen.«
»Und Sie waren nicht abgeneigt?«
»Verdammt, ich habe seit drei Monaten keine Freundin mehr. Und sie sieht wirklich gut aus, keine Modelschönheit, aber eben eine Frau, die niemand von der Bettkante schubst. Und sie hat sich mir quasi aufgedrängt. Sie hat mich angesprochen. Es war ein eindeutiges Angebot.«
»Und dann?«
»Dann hat sie mich gefragt, ob ich sie nach Hause bringen würde. Mein Gott, klarer kann man es nicht formulieren.«
»Warum sind Sie nicht zu Ihnen gegangen? Hier ist es vermutlich gemütlicher als im Studentenwohnheim.«
»Ich hab’s vorgeschlagen, sie wollte nicht. Wahrscheinlich gehörte das zu ihrem Plan. Unterwegs haben wir an der Tankstelle eine Flasche Sekt gekauft. Als wir ankamen, hat sie Musik aufgelegt. Wir haben rumgeschmust. Alles lief völlig normal. Bis zu dem Moment, als wir im Bett lagen. Da hat sie diese blöden Stricke hervorgeholt. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht sofort davongerannt bin.«
»Stattdessen haben Sie sie gefesselt.«
»Ja. Ich Idiot habe mich auf ihr Spielchen eingelassen. Es hat mir nicht mal Spaß gemacht. Ich mag es lieber auf die sanfte Tour.«
»Erzählen Sie weiter!«, forderte ich ihn auf.
»Da gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Sie wollte, dass ich sie schlage, und auch das war mir zuwider. Als sie mich anschnauzte, ich solle mich nicht so anstellen, war es endgültig vorbei. Ich habe sie losgebunden und mich wieder angezogen.«
»Und was hat Gudrun gemacht?«
Wieder vermied er ihren Namen. »Sie hat mir Beleidigungen an den Kopf geworfen.«
»Das hat Sie nicht provoziert?«
»Nein. Das war mir völlig egal. Ich wollte nur so schnell wie möglich weg. Der Abend war sowieso gelaufen.«
»Na schön«, sagte ich. »Und dann sind Sie nach Hause gefahren, hierher?«
»Richtig.«
»Wann haben Sie von der Anzeige wegen Vergewaltigung gehört?«
»Keine drei Stunden später, mitten in der Nacht. Zwei Polizisten haben mich aus dem Bett
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