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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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er die Stufen seiner Trittleiter hochgestiegen, als er, direkt in Augenhöhe, auf dem Grab der Familie Pourcin du Charmel etwas Weißes, Rechteckiges liegen sah.
    Dieses Erbbegräbnis befand sich genau unter dem verbeulten Briefkasten, auf den niemand achtete. Es war für alle Zeiten mit Blumen versehen (und nicht zu knapp), mit diesen knallbunten Kunststoffchrysanthemen in ihren unverwüstlichen Farben.
    Pencenat beäugte das Rechteck aus Papier. Er ging darauf zu, bückte sich und tat sich an den scharfen Kanten der abweisenden Plastikblumen weh. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, hielt er einen Briefumschlag in seinen mit Erde verschmierten Händen. Einen Briefumschlag!
    Von seinen Ideen zur Ausgestaltung seiner letzten Heimstatt einmal abgesehen, verfügte der ehemalige Briefträger Emile Pencenat über keinerlei Einbildungskraft. Die unvorhergesehene Benutzung eines offensichtlich zu rein ornamentalen Zwecken angebrachten Briefkastens brachte ihn nicht aus dem Gleichgewicht. Letztlich war das doch ganz normal. Was war schon ungewöhnlich daran, wenn jemand einen Briefumschlag in einen Briefkasten steckte, mochte dieser nun über einen Boden verfügen oder nicht? Einigermaßen verwirrend erschien ihm nur die Anschrift, die auf dem Umschlag zu lesen war:
    Mademoiselle Véronique Champourcieux 4, rue des Carmes Digne (Basses-Alpes)
    Es war eine schöne, steile, geradezu aristokratische Schrift, so weit Pencenat das beurteilen konnte. Anmutig prangte das Wort Mademoiselle, voll ausgeschrieben, im regelmäßigen Wechsel der Auf-und Abstriche auf dem Umschlag. Ein Wort, das den Schwung eines auffliegenden Vogels in sich birgt. Pencenat glaubte es förmlich zu hören. Augenblicklich erschien ihm die Person, die hinter dieser unbekannten Mademoiselle steckte, im strahlenden Schmuck der verschiedensten Laster; kunstvoll entblößt, wie die Titelschönheiten jener anrüchigen Zeitschriften, die er beim Zeitungshändler heimlich durchblätterte, wenn er unten in Digne zu tun hatte. Als sich diese Assoziation bei ihm einstellte, fing der Brief augenblicklich an, ihm die Finger zu versengen. Er durfte ihn nur ja nicht mit nach Hause nehmen. Prudence – allein schon die Tatsache, dass der Vorname seiner Frau »Vorsicht« bedeutete, ließ ihm diese schätzenswerte Eigenschaft in einem höchst unsympathischen Licht erscheinen –, Prudence, die Kluge, Vorhersehende also würde bocken wie ein Pferd vor dem Hindernis, wenn sie das Wort Mademoiselle auf einem Brief zu lesen bekäme, dem noch die Wärme von Pencenats Hosentasche anhaftete.
    Nicht, dass sie eifersüchtig gewesen wäre, Gott bewahre, aber jede Gelegenheit, ihrem Mann das Dasein zu vergiften, kam ihr gelegen. Eines Tages, es war schon ziemlich lange her, hatte sie ihn dabei ertappt, wie er die Rose Roche, die das Bureau de Tabac des Dorfes betrieb, ganz ungeniert begrapschte.
    Diese Rose Roche, eine Kriegerwitwe mit üppigen Formen, schien ihren Beruf allein im Hinblick auf die Möglichkeit gewählt zu haben, möglichst viele Männerbekanntschaften zu machen. Man musste einmal gesehen haben, wie sie ihre Brüste über dem Ladentisch zur Schau stellte. Prudence hatte diese Eskapade zum Vorwand genommen, Pencenat fortan die ehelichen Rechte zu verweigern. Schwer gefallen war ihr das nicht, denn schon lange widerstrebte es ihr, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen, und sie träumte davon, das Ehebett allein für sich zu haben. Im Handumdrehen hatte sie in der nach Norden gelegenen, kalten Vorratskammer, in der es winters wie sommers nach überreifen Äpfeln roch, eine annehmbare Schlafkabine eingerichtet. Pencenat blieb nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden.
    Seither war es Prudence – im Volksmund hieß sie in Anspielung auf ihren Namen nie anders als »Mutter der Porzellankiste« –, die alle zwei Tage das Päckchen Zigaretten Marke Scaferlati besorgte, das zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts Pencenats nun einmal nötig war.
    Anfangs bedachte sie Rose mit einem spitzen, überlegenen Lächeln, wenn sie ihre drei Francs hinlegte. »Als ob sie mir keinen Nachtisch gönnen wollte«, sagte sich Rose immer wieder und ließ es dabei bewenden. Sie hatte doch nichts weiter gewollt, als Pencenat ihrer Sammlung von Liebhabern einzuverleiben, ganz beiläufig, so wie man einen Schmetterling aufspießt, der in der eigenen Sammlung noch fehlt. Aber dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten: »Wir wollen mal sehen, ob diese arrogante Ziege nicht

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