Der Mörder mit der schönen Handschrift
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AM Friedhofstor von Barles befindet sich ein Briefkasten. Schon von weitem sieht man den Schlitz, wenn man den gepflasterten Weg emporsteigt. Der rechte Torflügel scheint wie durch ein Lächeln verklärt, mit dem sauber ausgeschnittenen Rechteck in der Mitte und den Regen-und Windschutzblechen auf beiden Seiten.
Zahllose Leichenzüge haben die beiden weit aufgerissenen Torflügel passiert, ohne dass sich irgendjemand Gedanken über diesen Schlitz am unpassenden Ort gemacht hätte, an dem ja nun auch nichts Außergewöhnliches ist. Ein Briefkasten an sich ist schließlich etwas so Banales, dass niemand je auf ihn achtet.
In den Jahren nach 1960 allerdings benutzte der Mörder mit der schönen Handschrift diesen Briefkasten. Es war schon damals ein alter Kasten, ohne Boden und mit einem schief in den Angeln hängenden Türchen. An wüsten Tagen, wenn der Mistral um den Gipfel des Couar knallte wie in den Segeln eines Schiffs, klapperte das Türchen leise in seinen Scharnieren. Da nun aber so viele rheumatische Skelette unter der Friedhofserde hartnäckig darauf bestanden, mit lautem Knacken jeden Wetterumschlag anzukündigen, wie sie es einst im Leben getan hatten, fand das gedämpfte Klappern dieses Wettermelders ebenfalls keine Beachtung.
Es war die Zeit, als Emile Pencenat sein Grab schaufelte, Sonntag für Sonntag. Er hatte die Erlaubnis dazu erhalten, obschon es für ein solches Vorhaben keinen Präzedenzfall gab. So unangenehm berührt er sich von dieser aberwitzigen Idee zeigte – der Gemeinderat hatte nichts ausfindig machen können, was ihrer Umsetzung in die Tat ausdrücklich im Wege gestanden hätte.
Wohl wissend, dass es an geeigneten Kräften zum Unterhalt des Totenackers fehlte, und um eine Entscheidung in seinem Sinne herbeizuführen, hatte Emile Pencenat feierlich erklärt: »Ich werde ihn für Sie sauber halten, Ihren Friedhof. Die verwelkten Sträuße werde ich wegschaffen. Das Unkraut zwischen den Gräbern hacke ich Ihnen weg, und nach stürmischen Tagen werde ich sogar die umgefallenen Töpfe mit den Chrysanthemen wieder aufstellen.«
Wie hätte man dem Angebot so vieler freiwilliger Hilfeleistungen widerstehen können? Man fragte Pencenat noch nicht einmal, warum er denn um jeden Preis seine eigene Grabstätte haben wollte, wo er doch über ein geräumiges, tönend leeres Familiengrab verfügte. Man kannte die Antwort auf diese Frage nur allzu gut. Er wollte die Stätte der ewigen Ruhe nicht mit Prudence, seiner Frau, teilen, mit der er mehr schlecht als recht zusammenlebte.
Im Übrigen war das Familiengrab durchaus nicht nach seinem Geschmack. Inmitten dieses katholischen Friedhofs nahm es sich wie ein protestantisches Mausoleum aus: Streng und abweisend gestand es der Ewigkeit nur sparsame Ausmaße zu und ließ sie dazu noch ohne jeden Reiz erscheinen. Nun hatte aber Emile Pencenat die beneidenswerte Gabe, sich den Aufenthalt im Reich der Schatten in leuchtenden Farben auszumalen. Gerade dunkle Gedanken rufen nach Blumenschmuck. Sein Grab sollte, wenn irgend möglich, die wesentlichen Merkmale des Prunkbetts eines absoluten Herrschers aufweisen. Unter einem mit schweren, goldbetressten Vorhängen geschmückten Baldachin sollte ein wollüstiges Himmelbett den Blickfang abgeben, und das Ganze sollte mit Säulenreihen eingefasst sein.
»Das sind doch Träume«, sagte Monsieur Régulus, der Dorfschullehrer. »Sie träumen davon, solch prachtvolle Dinge mit den Verwesungssäften Ihrer erbärmlichen Leiche zu besudeln. Das ist ja makabrer Hedonismus!«
Aber dergleichen Sarkasmen nahm Emile Pencenat überhaupt nicht zur Kenntnis. An Regentagen schnitzte er in seinem Schuppen die Engelsköpfchen, mit denen er die Säulen aus rosa Marmor zu schmücken gedachte, die sein Meisterwerk umrahmen sollten. So weit war es allerdings noch lange nicht. Weder wusste er, wo er rosafarbenen Marmor hernehmen, noch wie er ihn bezahlen sollte. Nun hatte jedoch die Idee, sein eigenes Grab zu schaufeln, erst vor einigen Monaten von ihm Besitz ergriffen, zum Zeitpunkt seiner Pensionierung, als er sich mit Schrecken gefragt hatte, wie er nun die innere Leere ausfüllen würde. Es blieb also noch reichlich Zeit, so glaubte er, für alles eine Lösung zu finden.
An einem schönen Herbstabend – die milde Wärme war noch in einem Meter Tiefe im Erdreich zu spüren – hörte Emile Pencenat es fünf Uhr schlagen. Er kletterte aus seinem Loch, um sich nicht unnötig dem tückischen Abendtau auszusetzen.
Kaum war
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