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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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hereingebrochenen, vernichtenden Schiffbruch auf einem behelfsmäßigen Floß angehäuft.
    Die erste Person, die er aufgesucht hatte, war der Volksschullehrer. Aus dieser Begegnung stammte ihre Kameradschaft.
    »Man hat mir gesagt«, hatte der Kapitän begonnen, »dass Sie die Gegend gut kennen?«
    »Ich bin seit vierzehn Jahren hier, und außerdem bin ich am Fuße des Cheval-Blanc, genauer gesagt in Archail geboren.«
    »Dann können Sie mir ja sicherlich eine Auskunft geben; Kann man von hier aus das Meer sehen?«
    »Das Meer?«
    »Ja, genau, das Meer.«
    Sie waren durch den Schulhof spazieren gegangen. An den Rändern der einzigen ebenen Fläche, auf der das Dorf gezwungenermaßen entstanden war, sah man nur stacheliges Grün, eingestürzte Felsschluchten, von Erdrutschen durchschnittene Grashänge, Felswände inmitten steil aufragender Wälder, und dort oben, ganz oben, auf der einen Seite den Blayeul und auf der anderen die montagne de Chine. Ob man nun in Richtung Digne schaut, wo immer ein leichter Dunst die clues ankündigt, oder in Richtung Verdaches, wo goldfarbene Birken schimmern, wo immer ein Wind weht, das Tal ist durch ein V mit fest verbundenen Schenkeln verriegelt.
    Tief eingegraben, dieses düstere und unheilvolle Bild, das an einen Sarg erinnert, war das einzige, das zu den Ausgängen des Talkessels von Barles passte.
    »Aber von wo zum Teufel wollen Sie denn hier das Meer sehen?«, hatte Monsieur Régulus ausgerufen.
    »Von hier aus wahrscheinlich nicht, aber von dort oben? Von diesem Gipfel? Und von dem dort?«
    »Nein, Monsieur! Noch nicht einmal vom Gipfel des Estrop kann man es sehen!«
    »Was ist das, der Estrop?«
    »Der höchste Berg der Gegend: zweitausendneunhunderteinundsechzig Meter, Monsieur! Nein, ich bedauere … Wenn Sie das Meer sehen wollen, müssen Sie woandershin gehen!«
    »Ja, aber … garantieren Sie mir das?«
    »Ich garantiere Ihnen gar nichts! Ja, aber! Was ist das überhaupt für eine Ausdrucksweise?«, hatte Monsieur Régulus erwidert, der leicht aufbrauste. »Ich sage Ihnen, dass man das Meer nicht sieht, und damit basta!«
    Da hatte der Hochseekapitän ihm anvertraut, dass er Horace Combaluzier heiße; dass er vierzig Jahre lang mit der See verheiratet gewesen sei; dass er die Nase gestrichen voll von ihr habe, von ihrem Prunk und ihren Zärtlichkeiten, von ihrer Romantik, von ihrer sinnlosen Weite; dass er sie nie wieder sehen oder von ihr sprechen hören wolle.
    Er hatte seinen Ärmel hochgeschoben, seine Haut gezeigt, seine Adern, seine Behaarung, die den Barten eines Fisches glich, seine eingefallenen Augenhöhlen.
    »Monsieur, ich steckte in der See fest, wie ein Stint zwischen den Lagen eines Packens Stockfisch! Das Salz ist in meine Poren eingedrungen, in meine Schleimhäute, in meine Knochen! Ich bin bis zur Seele eingesalzen! In meinem Sarg werde ich wie ein Kabeljau in der Dose tausend Jahre haltbar sein, Monsieur!«
    Er ließ sich nieder. Er kaufte eine Villa im anglonormannischen Stil, die ein sonderbarer Marseiller kurz vor seinem Tod auf einem für ein Butterbrot erworbenen Hanggrundstück hatte errichten lassen. Ihr Fachwerk war mit festen Steinen ausgefüllt; mit diesem glänzenden Stein, der die Farbe verwitterter Moränen hat, eine Farbe, mit der die Erosion alles Gestein bei uns versehen hat. Er richtete sich dort ein Zimmer in Richtung Norden ein, mit Blick auf drei dreißig Meter hohe Tannen, die sich gefährlich über den Abhang einer steilen Wiese neigten.
    Neidisch, weil sie ihm nicht zu einem guten Preis ein schönes Grundstück am Ufer des Bès hatten verkaufen können, dachten einige Nachbarn, sie könnten ihm das Leben damit schwer machen, dass sie ihn bedauerten: »Mein Gott, Sie Ärmster! Haben Sie denn nicht hingeschaut? Die Wiese hinter diesem Haus, sie wird darüber hereinbrechen! Sie stemmt sich ja schon dagegen! Wie lange das wohl noch hält? Ob das überhaupt noch hält! Ach, wenn Sie uns doch gefragt hätten! Vorher! Das Haus da, eines Tages wird der Berg es bedecken! Mit einem einzigen Platsch! Sie werden sich unter vierzig Metern Erde wiederfinden, ohne vorher die Zeit gehabt zu haben, das Vaterunser aufzusagen!«
    Er antwortete, dass, was das Vaterunser angehe, die Zeit allemal lang genug sei, für die paar Brocken, die er davon kannte; und was die vierzig Meter Erde angehe, so würden sie ihm wohl kaum genügen.
    »In Sachen Erde über mir«, sagte er, »bin ich unersättlich!«
    Manchmal, wenn der Wind sich plötzlich am Bug

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