Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
denken, dass Lisa sicher nicht erfreut sein wird, dass ich ihre Jacke zerstört habe. Nur nicht daran denken, dass es hier mittlerweile so dunkel ist, dass ich genauso gut mit den Händen in irgendwas reinfassen könnte. Nur nicht daran denken, dass ich mich hier unten verirren könnte, auch wenn sie da oben noch so viel rufen.
Verbissen kämpfte sich Verena weiter. Mittlerweile konnte sie überhaupt nichts mehr sehen und von Klettern konnte man auch nicht mehr sprechen. Vielmehr kroch sie durch Löcher zwischen irgendwelchen Wurzeln hindurch, um die herum sich größere Mengen Humus und gefallene Blätter angesammelt hatten. Sie spürte immer wieder, wie sie im Stockdunkeln auf irgendetwas Lebendiges trat oder es mit ihrem Körper zerdrückte. Insekten, Schnecken, diese kleinen Krebschen, nichts Gefährliches!
Das versuchte sie sich erfolglos einzureden. Bald bemerkte sie, dass sie tatsächlich von irgendetwas in die Hand gestochen oder gebissen worden sein musste. Die Hand begann, zu pochen und zu schmerzen. Sie versuchte, darüber nicht nachzudenken. Was hätte es für einen Sinn, jetzt noch zurück zu klettern. Im Grunde glaubte sie nicht mehr daran, in die eine oder die andere Richtung irgendwas erreichen zu können. Also war nach unten genauso gut wie nach oben. Immerhin konnte sie jetzt jederzeit auf festen Felsboden unter all dem Pflanzenwerk stoßen. Der zunehmende Durst gemahnte sie indes ständig daran, wie notwendig die Aufgabe war, die sie übernommen hatte. Ohne Steine gab es keine Möglichkeit Lianen zu kappen. Eine andere Möglichkeit an sicheres Trinkwasser zu kommen, hatten sie bisher nicht gefunden. Vielleicht würde sich später eine Möglichkeit ergeben, das Wasser eines starken Regenschauers aufzufangen oder etwas aus den weiter oben liegenden Tümpeln abzukochen. Bis dahin konnte es aber sehr wohl zu spät sein.
Verenas Lage hatte sich so stetig verschlechtert, dass sie einfach nicht früher ans Umkehren gedacht hatte. Wäre sie unvermittelt auf solche Hindernisse gestoßen, sie hätte trotz aller guten Gründe die dafür sprachen weiterzumachen, aufgegeben. Entmutigt wäre sie zurückgeklettert und hätte berichtet, dass es kein Durchkommen gab.
Die Hand sollte nicht ihr größtes Problem bleiben. Bald darauf spürte sie etwas Verdächtiges an ihrem linken Unterschenkel und richtig, Schmerz und Schwellung ließen nicht lange auf sich warten. Zudem stellte sie fest, dass sie nicht mehr ganz klar denken konnte. Ihr wurde übel, mehrfach übergab sie sich. Wäre sie jetzt noch geklettert, hätte sie nichts vor einem Absturz bewahrt, denn ihr Gleichgewichtssinn funktionierte nicht mehr zuverlässig.
Unter sich vermeinte sie, einen Lichtschein auszumachen. Da wurde ihr klar, dass ihr die Vergiftung grobe Streiche spielen musste. Sie zwängte sich ohne jede Rücksicht auf ihren geschundenen Körper immer weiter in die Richtung, die sie die ganze Zeit für unten gehalten hatte. Nun erwies sich der anfangs nur zu erahnende Lichtschein als hellstes Tageslicht. Entweder mein Sinn für oben und unten ist umgekehrt oder ich sehe Licht, wo keins ist, dachte sie noch.
Dann gab unter ihr der Boden nach und sie stürzte hinab auf das Tageslicht zu. Den Aufschlag nahm sie mit vollkommener Gleichgültigkeit in kauf. Die Schmerzen setzten erst nach einer kurzen Schrecksekunde ein, doch im Moment kümmerten sie sie nicht. Alles war gut. Sie würde jetzt sterben. Dann war der ganze schreckliche Albtraum vorbei. Mit Belustigung registrierte sie das seltsame Kribbeln von Myriaden kleiner Krebstierchen, die über sie hinwegkrabbelten.
*
Alf sieht besorgt aus!, dachte Lena. Sie war mit hämmernden Kopfschmerzen aufgewacht, aber noch nicht ganz bei sich. Er starrt ein Licht an. Lena brauchte eine Weile, um zu begreifen, was diese diffusen Eindrücke zu bedeuten hatten. … Aha, die Ausgangstür. Sie ist offen. … Der Absturz …. Anscheinend haben ihn überlebt.
„Was ist los? Mir ist kalt!“, meldete sie sich schließlich zu Wort.
„Lena!“, rief Alf aus und begann sofort, um sie herumzuwuseln, ihr zärtlich über die Backe zu streicheln und wenig aufschlussreiche Sätze wie „jetzt wird alles wieder gut“, von sich zu geben.
Lena konnte diese plötzliche Reizüberflutung kaum bewältigen, auch wenn sie sich bewusst war, dass dieses konfuse Verhalten Ausdruck von Alfs Liebe zu ihr sein musste. Und ich liebe ihn und das ist alles schön und gut. Aber mit dem Getue macht er mir Angst.
„Mir ist
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