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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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Sahne
     
     
    Sie war selbst schuld .
    Dadalore-Was-soll-das-Dunkle-nachts lief unruhig auf und ab. Sie hatte um das bevorstehende Gespräch gebeten. Das verfluchte Gespräch! Warum musste sie sich so viele Sorgen machen wegen eines Treffens, das sie von allen Sorgen befreien sollte?
    Ihre Finger zitterten, während sie sich über die schwarzen Haare strich, die ihr jugendliches Gesicht einrahmten. Sie hatte sich bereits mehr als gründlich zurechtgemacht, aber man konnte ja nie wissen. Ehe man sich versah, sprang ein Haar in die Höhe, eine Wimper fiel herab oder der Kohlestaub, mit dem man die Augen umrandete, verschmierte. Solche Dinge geschahen ständig. Vor wichtigen Anlässen konnte man einfach nicht vorsichtig genug sein.
    In einem Moment sah man noch hübsch aus und im nächsten war man bereits entsetzlich entstellt.
    Dadalore trug ihren amtlichen Rettarock. Die zahlreichen Lederlamellen daran waren einzeln poliert. Nicht weniger glänzten ihre Stiefel. Ihre Haare hingen eben dort, wo Haare nun einmal hingehörten, der Kohlestift war nicht verschmiert und auch die Wimpern hielten tapfer die Stellung. Selbst den Sklavenring um ihren Hals hatte sie auf Hochglanz gebracht. Und dennoch wollte das Gefühl nicht weichen, unzureichend auf das Kommende vorbereitet zu sein.
    Es war im Grunde das gleiche Gefühl, das sie seit Monaten begleitete. Die wenigsten Unfreien kamen so früh in ein hohes Amt. Als sie erfahren hatte, dass die Wahl Tyrtallas auf sie gefallen war, hatte sie die Freude schier überwältigt. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich ausgemalt, eines Tages Capitalobservatorin zu werden. Doch die Freude war längst verflogen und hatte einem quälenden Zustand Platz geschaffen, dem sie nicht mehr entrinnen konnte. Ein anderer hätte sich vielleicht weiter ergötzt: an den Privilegien des Amtes und auch am Respekt, mit dem einem die Menschen begegneten. Doch für sie verblassten diese Dinge zur Bedeutungslosigkeit. Sie wusste um den guten Ruf, mehr noch, das ungeheure Renommee des ehemaligen Capitalmeisterobservators Osogo-Wem-fehlt-die-Zeit. Er hatte die Verbrecher das Fürchten gelehrt, war ein Musterbeispiel an Königstreue und Pflichterfüllung gewesen. Am Tag seiner Verabschiedung hatten Tausende von Bauern, Bürgern und Sklaven ihm zugejubelt. Und von einem Tag auf den anderen war Dadalore an seine Stelle getreten. Auch wenn niemand ihr den Respekt des Amtes vorenthielt, so entging ihr doch nicht, wie die anderen Beamten des Königs sie anblickten. Wie sie einander viel sagende Blicke zuwarfen, wenn sie sich unbeobachtet wähnten.
    Und Dadalore konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Wer ein Streitross gewohnt war, der konnte ein Maultier nur mit einem nachsichtigen Lächeln in den Stall führen.
    Was hatte sie auch erwartet von Untergebenen, die doppelt und dreifach so alt waren wie sie selbst? Natürlich stellte niemand die Wahl Tyrtallas infrage ...
    Nein, eigentlich war das nicht richtig. Jemand stellte durchaus die Entscheidung des Gottes infrage!
    Von draußen war der Tempelgong der sechsten Abendstunde zu hören.
    Dadalore fluchte.
    Der Dritte Höcker lag zwar direkt gegenüber, aber wie der Gong ihr unmissverständlich verkündete, war die Verspätung nun unvermeidlich. Auch das noch.
    Sie stürmte aus der Amtsstube, vorbei an den wenigen Gefolgsleuten, die zu dieser späten Stunde noch Dienst taten, und hinaus auf die Straße. Augenblicklich schlug die Hitze, die Tyrtalla am Himmel reichlich verschenkte, über ihr zusammen. Großartig, jetzt begann sie zu allem Übel auch noch zu schwitzen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Kohlestaub zerfloss. Und dann sprangen gewiss auch die Haare aus der Fassung und es regnete Wimpern.
    Sie strebte direkt zum Dritten Höcker, einem beeindruckenden Lehmbau, aus dem Stimmengewirr drang.
    Vor dem Eingang blieb sie noch einmal stehen, um an ihrem Rettarock herum zu zupfen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Dadalore zuckte zusammen und fühlte sich ertappt. Ein junges Pärchen im Kaftan der Bürgerlichen verließ das Gasthaus. Die beiden waren so ins Gespräch vertieft, dass sie kaum Notiz von ihr nahmen.
    Die Capitalobservatorin atmete noch einmal tief durch und betrat den Dritten Höcker.
    Es war angenehm kühl hier. Allerdings schlug auch das Summen eines ganzen Bienenstocks über ihr zusammen. Die farbenprächtigen Gewänder der Gäste kündeten vom Wohlstand, der unter der Regentschaft König Gowofreds gedieh. Von Tisch zu Tisch

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