Der Name Der Dunkelheit
Spitze. Man könnte es sehen, aber wegen der Felswand nimmt man es nicht wahr. Schon gar nicht in der Dämmerung.«
»Der Weg scheint befahren worden zu sein«, sagte Pétur, der seit Ísafjörður den Wagen der Polizei lenkte.
Wann hier jemand gefahren war, konnte man wegen des Windes nicht sagen.
Langsam setzte sich der Jeep in Bewegung.
Hulda Júpítersdóttir drehte am Rädchen, bis die Gasflamme erlosch. Sie kniff die Augen zusammen und starrte auf das Ende des Fjords. Sie begann zu zählen. Bei neunzehn tauchte das Flackern erneut auf. Scheinwerfer.
Sie wandte sich vom Fenster ab. »Wir müssen los. Da kommt jemand.«
»Sollen wir nicht lieber warten, bis wir erfahren, wer das ist?« Hampus war in zwei Jacken eingepackt und konnte sich kaum rühren.
»Nein.« Hulda schulterte den Rucksack und stemmte die Tür auf. Sogleich wehte Schnee in die Stube.
»Und wenn sie uns weiter folgen?«, sagte er hinter ihr.
»Hier sind schon viele gestorben. Bist du bereit?«
Er nickte zögernd.
Hulda drückte mit der Schulter gegen die Tür und schloss den Riegel. Es erleichterte sie, von hier wegzukommen. Das Haus war ohne Großvater tot. Das Einzige, was hier spukte, war die diesige Leere.
Sie schlugen den Pfad hinauf auf die Höhe ein. Nach wenigen Metern lösten sich ihre Umrisse in der Dunkelheit auf, und das Fauchen des Windes übertönte ihre Schritte.
95
Die Morgendämmerung war noch weit entfernt, als ein himmelblauer Ford Zephyr die Straße entlangschlich. Dort, wo der Laugavegur nach vielen Kilometern und Windungen auf den letzten fünfzig Metern vor seinem Ende plötzlich stark hinab zur Lækjargata abfiel, an der Stelle also, wo der Laugavegur plötzlich Bankastræti hieß, dort hielt der Zephyr an der linken Straßenseite. Die Scheinwerfer erloschen.
Die Straße lag völlig verlassen da. Die Menschenmassen,
die bis vor kurzem in den Lokalen und auf der Straße gefeiert hatten, lagen inzwischen im Bett.
Die Insassen des Zephyrs waren: Gísli, 22, Birta Kristín, 18, Sindri Lárus, 23, Rakel, 17, und Fjóla, 15.
Gísli, der am Steuer saß, schaltete den Motor aus und spähte durch die Scheibe. Bis zur Ruine des neuen Konzerthauses war kein Mensch zu sehen.
Sindri Lárus klappte den Computer auf seinem Schoß auf. Der Zephyr stand gleich neben der ›Kaffeetasse‹, einem der wenigen Cafés auf dem Laugavegur, das um sechs Uhr am Abend zumachte und sich nicht in eine Tanzhölle verwandelte. Und obwohl die ›Kaffeetasse‹ nach sechs Uhr dunkel und verriegelt war, lief irgendwo in einem Hinterzimmer ein Computer und sendete weiterhin ein Netzwerk aus für Gäste, die es gar nicht gab.
»Du hattest recht«, sagte Sindri Lárus. »Es ist nicht verschlüsselt und aktiv.« Er öffnete das E-Mail-Programm. Die beiden hatten die ganze Nacht gebraucht, um alle Seiten einzuscannen und dann die Größe der Datei so zu reduzieren, dass man sie versenden, aber noch gut lesen konnte.
Sindri Lárus drehte den Kopf nach hinten. Dort saßen die drei Damen schweigend auf der Rückbank. »Darf ich jetzt um die Daten bitten?«
Birta Kristín hielt den Speicherstift so fest in der Hand, dass ihre Fingerknöchel rot anliefen. »Bist du sicher? Sollen wir das wirklich tun? Wir wissen doch gar nicht, was das ist.«
Die drei auf der Rückbank hatten noch mehr Arbeit gehabt. Sie hatten alle E-Mail-Adressen von der Liste abgetippt.
Sindri Lárus zuckte mit den Schultern. Alle blickten zu Fjóla, die sich in die Ecke des Sitzes drückte.
»Sie tut immer, was Hulda ihr sagt«, sagte Rakel. »So ist es doch, Fjóla.«
»Jetzt gibt das Ding schon her!«, rief Gísli vorne. »Ihr habt
die Adressen doch gesehen. Die meisten stammen von Universitäten. Was kann da schiefgehen!«
»Es sind auch andere dabei. Die NSA zum Beispiel. Weißt du Schlappschwanz, was das ist?«
Gísli fuhr herum und legte seinen Arm auf die Lehne. »Es sind alle. Alle, die etwas damit anfangen können. Keiner kommt zu kurz.«
Mit einer abgehackten Bewegung streckte Birta Kristín den Arm aus.
Sindri Lárus nahm den Speicherstift und steckte ihn in den Computer. Er kopierte die Adressen in einem Block in die Empfängerzeile. »Kann losgehen.«
»Dann los.«
96
Madame Lacroix nahm um neun Uhr am Morgen ihre Sitzposition auf dem Hocker hinter der Kasse ein. Diese Position würde sie für den Rest des Jahres beibehalten, jedenfalls sah sie aus, als verbrächte sie auch die Nächte auf diesem Hocker. Über die Jahre waren Madame Lacroix und der
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