Der Name der Rose
Benediktinernovizen, der folglich dazu verurteilt war, nimmer mehr zu genesen – beziehungsweise der sich verpflichtet hatte, durch eigene Wahl oder dank der weitsichtigen Entscheidung seiner Eltern, niemals dieser Krankheit anheimzufallen. Zum Glück berücksichtigte Avicenna, wenn er dabei auch nicht an den Orden der Cluniazenser dachte, immerhin auch den Fall der nicht zusammenfuhrbaren Liebenden, für den er die Radikalkur der warmen Bäder empfahl (wollte Berengar möglicherweise so seine krankhafte Liebe zu dem verstorbenen Adelmus auskurieren? – aber konnte man auch an der Liebe zu einem Wesen des eigenen Geschlechts erkranken, oder war ein solches Begehren nicht eher tierische Wollust? – aber war meine Wollust der vergangenen Nacht nicht ebenfalls tierisch gewesen? – nein, sicher nicht, sagte ich mir – und gleich darauf: mitnichten, Adson, du irrst, du bist einer Täuschung des Bösen erlegen, sie war ganz und gar tierisch, und wenn du dich gestern sündigerweise zum Tier gemacht hast, so sündigst du heute noch mehr, indem du es nicht einmal wahrhaben willst!). Beim Weiterlesen erfuhr ich dann aber, daß es, immer laut Avicenna, noch andere Heilmittel gibt: Zum Beispiel kann man sich hilfesuchend an alte und erfahrene Weiber wenden, die ihre Tage damit verbringen, die schöne Geliebte anzuschwärzen – und wie es scheint, sind die alten Weiber darin erfahrener als die Männer. Vielleicht war das die Lösung? Nur leider vermochte ich in der Abtei keine alten Weiber zu finden (freilich auch keine jungen), ich hätte mich also ersatzweise an einen alten Mönch wenden müssen mit meiner Bitte, über das Mädchen herzuziehen. Aber an wen? Und außerdem, konnte ein Mönch überhaupt die Frauen gut genug kennen, so wie ein altes und klatschhaftes Weib sie kennt? Nein, das war es wohl auch nicht. Die letzte Lösung, die der Sarazene vorschlug, war ganz und gar schamlos: Er meinte, man solle den unglücklich Liebenden mit vielen schönen Sklavinnen zusammenbringen – völlig undenkbar für einen Mönch! Wie also, fragte ich mich am Ende verzweifelt, wie soll dann ein armer Novize von seiner Liebeskrankheit genesen? Gab es für mich denn gar keine Rettung?
Vielleicht sollte ich zu Meister Severin mit seinen Kräutern gehen? Tatsächlich fand ich eine Stelle jenes Arnaldus von Villanova, den auch William schon mit großer Hochachtung mir gegenüber erwähnt hatte und der die Liebeskrankheit auf einen Überfluß an Säften und Pneuma im Körper zurückfuhrt. Wenn nämlich dem menschlichen Organismus zuviel Feuchtigkeit und Wärme zugeführt würden, so schwelle das Blut (das bekanntlich den gattungserhaltenden Samen erzeugt) zu stark an und erzeuge dabei ein Zuviel an Samen, eine complexio venerea und damit ein intensives Verlangen nach Vereinigung zwischen Mann und Frau. Es gäbe, so las ich, eine virtus aestimativa , also eine abschätzende Urteilskraft im menschlichen Geist, sie sitze im hinteren Teil der Mittelkammer des Enzephalons (was ist das?) und ihre Funktion bestehe darin, die nicht sinnlich erfaßbaren intentiones in den mit den Sinnen erfaßten Sinnesobjekten wahrzunehmen, und wenn das Verlangen nach einem Sinnesobjekt zu stark werde, dann gerate das Urteilsvermögen durcheinander und weide sich nur noch am Trugbild der geliebten Person; es komme dann zu einer Entzündung der ganzen Seele sowie des Körpers, mit ständigem Wechsel zwischen Trübsinn und Freude, denn die Wärme, die in den Momenten der Verzweiflung in die tieferen Regionen des Körpers absinke und die Haut gefrieren lasse, springe in den Momenten der Freude an die Oberfläche und entflamme das Gesicht. Als Heilmittel schlug Arnaldus vor, man solle versuchen, das Vertrauen und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der geliebten Person zu verlieren, auf daß die Gedanken sich von ihr entfernen …
Wie das? Dann wäre ich ja geheilt! Oder jedenfalls auf dem Wege der Heilung, fuhr es mir durch den Kopf. Denn ich habe wenig oder gar keine Hoffnung mehr, das Objekt meiner obsessiven Gedanken wiederzusehen, und wenn ich es wiedersähe, es zu berühren, und wenn ich es berührte, es erneut zu besitzen, und wenn ich es erneut besäße, es zu behalten – sei's wegen meines mönchischen Status oder wegen der Pflichten, die mir der Rang meiner Familie auferlegte … Ich bin gerettet, sagte ich mir, klappte das Büchlein zu und atmete auf. Im selben Moment trat William herein. Wir setzten unseren Rundgang durch das – wie berichtet –
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