Der Name der Rose
erzählen sein wird), muß ich dem Leser ein Geständnis machen. Ich habe gesagt, daß unsere Erkundung zum einen von der Suche nach dem Schlüssel zu jenem geheimnisvollen Ort bestimmt war und zum anderen von unserer Neugier, die uns immer wieder dazu verleitete, in Räumen, deren Zuordnung und Thematik wir erkannt hatten, Bücher verschiedenster Art zu durchblättern, als erforschten wir einen fremden Kontinent oder eine Terra incognita. Und gewöhnlich gingen wir dabei in schönster Eintracht vor, blieben beisammen und beschäftigten uns mit denselben Büchern, ich meinem Meister die interessantesten zeigend und er mir vieles erklärend, was ich nicht von allein verstand.
An einem bestimmten Punkt allerdings, just während unserer Erkundung der LEONES genannten Räume des Südturms, hatte sich William vor Schränken voller arabischer Werke in das Studium interessanter optischer Illustrationen vertieft, und da wir in jener Nacht nicht nur über eine, sondern über zwei Lampen verfugten, war ich neugierig in den nächsten Raum weitergegangen, wo ich sogleich entdeckte, daß die umsichtigen und gewitzten Gründer der Bibliothek dort Bücher versammelt hatten, die nun gewiß nicht für jedermanns Augen bestimmt waren, denn es handelte sich um Traktate über diverse Erkrankungen des Körpers wie auch des Geistes, meist aus der Feder ungläubiger Gelehrter. Beim Durchmustern der Schränke war mir ein Buch ins Auge gefallen, ein eher schmales Bändchen, verziert mit (glücklicherweise) weit vom Thema abweichenden Miniaturen: Blumen, Ranken, Tieren in Paaren, auch einigen medizinischen Kräutern. Der Titel hieß Speculum amoris , es stammte von einem gewissen Fra Massimo aus Bologna und enthielt Zitate aus vielen anderen Werken, alle über die Liebeskrankheit. Wie der Leser unschwer begreifen wird, war meine Neugier sofort geweckt. Ja, der bloße Titel genügte, um meinen kranken Geist, der sich im Laufe des Tages ein wenig beruhigt hatte, erneut zu entzünden mit dem erregenden Bild des Mädchens.
Den ganzen Tag lang hatte ich die Gedanken verscheucht, die mir am Morgen durch den Kopf gegangen waren, da sie mir ungebührlich erschienen für einen gesunden und seelisch ausgeglichenen Benediktinernovizen, und angesichts der mannigfachen Ereignisse jenes Tages hatte mein Sinnenansturm sich auch schon wieder soweit beruhigt, daß ich bereits frei zu sein wähnte von einer Unruhe, die wohl nichts anderes gewesen war als eine vorübergehende Schwäche. Nun aber genügte der Anblick jenes einen Buches, und sofort sagte ich mir erneut: » De te fabula narratur! « Offensichtlich war meine Liebeskrankheit viel ernster, als ich gedacht. Später machte ich die Erfahrung, daß man beim Lesen medizinischer Bücher stets und immer genau diejenigen Schmerzen zu spüren vermeint, die in ihnen beschrieben werden. So lehrte mich denn die Lektüre der Seiten, die ich rasch überflog (in der steten Furcht, William könnte jeden Moment hereinkommen und mich fragen, was ich da so eifrig studierte), daß ich genau an der Krankheit litt, deren Symptome so glänzend auf ihnen beschrieben waren. So glänzend, daß ich trotz der beunruhigenden Erkenntnis, nun also offenbar krank zu sein (gemäß der unfehlbaren Diagnose so vieler Auctoritates), gleichwohl eine gewisse Freude empfand, meine Lage so zutreffend und lebendig beschrieben zu sehen; konnte ich mich doch nun mit eigenen Augen davon überzeugen, daß meine Krankheit, so sehr ich auch unter ihr leiden mochte, sozusagen normal war, wenn so viele andere schon in gleicher Weise an ihr gelitten hatten. Ja, mir schien geradezu, als hätten die zitierten Autoren niemand anderen als mich zum Modell ihrer Deskriptionen gewählt.
Erregt vertiefte ich mich in die Ausführungen des Ibn Hazm, der die Liebe als eine rebellische Krankheit definiert, die ihre Kur in sich selber findet: Wer an ihr erkrankt, will nicht wieder genesen, und wer ihr erliegt, wünscht sich gar keine Heilung mehr (weiß Gott, eine wahre Erkenntnis!). Mir wurde klar, warum ich am Morgen so erregt gewesen von allem, was ich erblickte, denn offenbar tritt die Liebe zumeist durch die Augen ein, wie auch Basilius von Ankyra sagt, und wer von diesem Übel befallen wird, legt – unverwechselbares Symptom – eine exzessive Fröhlichkeit an den Tag, während er zugleich abseits stehen will und die Einsamkeit sucht (wie ich es an jenem Morgen getan), wobei als Begleiterscheinungen eine heftige Unruhe und eine lähmende
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