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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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hier ist ein Lebkuchenhaus, und dieses Zimmer ist ein Pilz. Ich glaubte, dieser Mann sei eine fiktive Figur, die sich als wirklich entpuppt hatte, genauso wie der fiktive Wald Wirklichkeit geworden war.
    Wir saßen in dem Lebkuchenhaus im Pilz. Es war düster und eng da drin. Er redete, und ich erinnere mich nicht daran. Ich erinnere mich nur an zwei Dinge:
    Er sagte zu mir: ‹Sie ist blind.›
    ‹Wer ist blind?›
    Aber er antwortete nicht. Ich dachte, er wüsste die Antwort nicht. Er wüsste zwar, dass jemand blind war, aber nicht, wer.
    Er sang ein Lied. Ich kannte es nicht.
    Wenn ich es je wieder hören sollte, erkenne ich es bestimmt. Aber ich kann mich an das Lied einfach nicht erinnern, habe auch nicht mehr vor Augen, wie er sang. Ich erinnere mich nur, gewusst zu haben, dass der Mann im Lebkuchenhaus ein Lied sang. Und ich erinnere mich, dass er zu mir sagte: ‹Sie ist blind›, und ich fragte: ‹Wer ist blind?›, und er antwortete nicht.»
    (Was mich, den Zuhörer, betrifft, so sollte man denken, beim Stillsitzen hätte ich mich wieder etwas in die Gewalt bekommen. Stattdessen steigerte ich mich mehr und mehr hinein. Das Gefühl, aus Gottes Einflussbereich entlassen zu sein, hinterließ mich entrückt, aber entrückt in ein Reich der Emotionen, einen Hexenkessel. Ich sah Flower ihre Nacktheit auf einer grellbeleuchteten Bühne zur Schau stellen, klein und perfekt und umgeben von Dunkelheit, als wäre die Kulisse eine verborgene Grotte.)
    «Den ganzen Vormittag suchte die gesamte Nachbarschaft nach mir. Am Nachmittag wurde die Polizei eingeschaltet. Weit nach Einbruch der Dunkelheit fanden mich zwei Polizisten am Waldrand auf der Straße. Ich hatte mich eigentlich nie richtig vor dem kleinen Mann gefürchtet. Aber die beiden Polizisten jagten mir einen solchen Schrecken ein, dass ich nicht mehr aufhören konnte zu heulen. Sie bemühten sich, nett zu sein, aber sie waren wie gigantische Roboter. Und ihr Wagen kam mir wie ein furchterregendes Raumschiff vor.
    Sie fragten mich, wo ich gewesen sei, aber ich gab keine Antwort. Später dachte ich dann darüber nach, erinnerte mich an das, was zu erinnern war. Und habe mich seitdem immer daran erinnert.
    Ich erinnere mich, dass er sagte: ‹Sie ist blind. Und sie heißt Flower.›
    ‹Bin das ich?›, fragte ich ihn. ‹Ist das mein Name?›
    In dem Moment fällt mir immer das andere kleine Mädchen ein. Ich sehe sie nicht vor mir. Ich weiß nur, sie war da. Dass er sagte, sie heiße Flower. Und so hieß ich dann eben auch Flower.»
    Sie saß neben ihrer Staffelei und beobachtete mich so lange, ohne etwas zu sagen, bis ich verstand, dass die Geschichte zu Ende war.
    Ich fragte sie: «Wie lautet denn dein Name – dein richtiger Name?»
    «Verbrieft und wirklich Flower Cannon.»
    «Aber doch nicht schon immer. Wie hast du ursprünglich geheißen?»
    «Micah. Micah James. Ohne zweiten Vornamen.»
    «Das ist genauso schön … Aber James?»
    «So hieß meine Mutter. Sie haben erst geheiratet, als ich sieben war, kurz nachdem Kali auf die Welt kam. Ich glaube nicht, dass sie bei ihrer Geburt schon heiraten wollten, sonst hätten sie sie nicht Kali genannt – nicht, wenn sie mit Nachnamen Cannon heißen würde. ‹Kali Cannon!› Damals habe ich mich auch in Flower umbenannt. Oder meine Eltern haben das für mich gemacht, weil ich sie darum gebeten habe.
    Ich habe nie über das, was geschehen war, gesprochen. Jahrelang habe ich meinen Eltern nichts erzählt. Als ich es dann doch getan habe, sind sie völlig ausgeflippt, meine Mom jedenfalls. Sie stand in ihrem Wohnzimmer auf, hob den Beistelltisch hoch über ihren Kopf und zerschlug ihn auf einer Stuhllehne. Sie hatten nie gefragt, also hatte ich es ihnen nie erzählt.
    Zuerst nahm ich irgendwie an, dass sie Bescheid wüssten, als könnten sie mich gesehen haben, als würde mein Leben im Fernsehen gezeigt und sie hätten sich das selbstverständlich angeguckt, eine Sendung über die Geschichte meines Namens.
    Sonst habe ich das nur sehr wenigen erzählt. Und noch niemals einem Mann außer meinem Vater und jetzt dir. Es ist kein Geheimnis, aber es bedeutet mir viel, und mir war nicht danach, damit hausieren zu gehen, aus Angst, jemand könnte später irgendwie darauf zurückkommen und es mir wegnehmen. Es mir wegnehmen und durch ein anderes ersetzen, das nach was Richtigem aussieht und sich nach was Richtigem anfühlt, aber nicht die wahre Geschichte und längst nicht so bedeutungsvoll ist.»
    «Flower. Warum

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