Der Pate von Bombay
Meter hohe Mauer aus demselben rötlichbraunen Backstein wie das Revier und die Bezirksdirektion umgab den ganzen Komplex. Beide Gebäude hatten zwei Stockwerke und die gleichen roten Ziegeldächer, die gleichen Bogenfenster. Ein Versprechen lag in den strengen Bögen, den dicken Mauern und den trutzigen Fassaden, sie vermittelten den beruhigenden Eindruck wuchtiger Macht, der Macht von Recht und Ordnung. Ein Wachposten nahm Haltung an, als Sartaj die Treppe hinaufstieg. Er hörte Parulkar schon von weitem lachen, noch während er sich durch das Labyrinth der Arbeitskabinen mit ihren Papierstapeln schlängelte. Er klopfte kräftig an das glänzende Holz von Parulkars Tür und trat ein. Lachende Gesichter wandten sich ihm zu; sogar Reporter der überregionalen Abendzeitungen waren gekommen, um etwas über Parulkars Initiative zu erfahren oder wenigstens ein Gedicht zu hören. Parulkar brachte Auflage.
»Meine Herren«, sagte Parulkar und wies stolz auf Sartaj, »mein wagemutigster Mitarbeiter, Sartaj Singh.« Die Korrespondenten setzten unter längerem Geklapper ihre Teetassen ab und sahen Sartaj skeptisch an. Parulkar kam um den Schreibtisch herum und rückte seinen Gürtel zurecht. »Einen Moment, bitte. Wir müssen draußen kurz etwas besprechen, dann berichtet er Ihnen von unserer Initiative.«
Parulkar schloß die Tür und führte Sartaj in eine winzige Küche an der Rückseite seiner Kabine. An der Wand prangte ein nagelneuer Brittex-Wasserfilter. Parulkar drückte ein paar Knöpfe, und ein glitzernder Wasserstrahl schoß in das Glas, das er darunterhielt.
»Schmeckt sehr rein«, sagte Sartaj. »Wirklich ausgezeichnet.«
Parulkar trank in tiefen Zügen aus einem Metallbecher. »Ich habe das beste Modell bestellt«, sagte er. »Sauberes Wasser ist das A und O.«
»Ja, Sir.« Sartaj nahm einen Schluck. »Wagemutig, meinen Sie also, Sir?«
»Das mögen sie. Und wagemutig mußt du auch sein, wenn du deinen Posten behalten willst.«
Parulkar hatte abfallende Schultern und einen birnenförmigen Rumpf, vor dem selbst die besten Schneider kapitulierten. Seine Uniform war schon jetzt zerknittert, aber das war nichts Ungewöhnliches. Seine Stimme klang matt, und in seinem Blick lag eine Resignation, die Sartaj nicht an ihm kannte.
»Stimmt was nicht, Sir? Gibt es Probleme mit der Initiative?«
»Nein, nein, keine Probleme mit der Initiative, damit hat es nichts zu tun. Es ist etwas anderes.«
»Nämlich, Sir?«
»Sie wollen mir an den Kragen.«
»Wer, Sir?«
»Wer schon?« Es klang ungewohnt schroff. »Die Regierung. Die wollen mich loswerden. Sie finden, ich bin weit genug aufgestiegen.«
Parulkar hatte als einfacher Unterinspektor angefangen und war jetzt stellvertretender Polizeichef. Er war bei der Polizei von Maharashtra die Karriereleiter hochgeklettert und hatte dann den schier unmöglichen Sprung in den erhabenen indischen Polizeidienst geschafft, und zwar aus eigener Kraft, durch gute Arbeit, mit Humor und endlosen Überstunden - eine erstaunliche, beispiellose Karriere. Und jetzt war Parulkar Sartajs Mentor. Er leerte sein Glas und schenkte sich aus dem neuen Brittex-Filter nach.
»Aber warum, Sir?« fragte Sartaj. »Warum?«
»Ich habe der letzten Regierung zu nahe gestanden. Sie glauben, ich bin Anhänger der Kongreßpartei.«
»Dann will man Sie wohl wirklich loswerden. Aber das heißt ja noch nichts. Bis zu Ihrer Pensionierung haben Sie noch viele Jahre vor sich.«
»Erinnerst du dich an Dharmesh Mathija?«
»Ja, der Mann, der unsere Mauer gebaut hat.« Mathija war Bauunternehmer, einer der auffallend erfolgreichen in den nördlichen Vororten, ein Mann, dem der Ehrgeiz wie Fieberschweiß auf der Stirn stand. Er hatte die Mauer um das Revier in Rekordzeit nach hinten hinaus verlängert, rings um die kürzlich aufgeschüttete Niederung. Es gab dort jetzt einen Hanuman-Tempel 260 , eine kleine Rasenfläche und junge Bäume, die man aus den rückwärtigen Fenstern des Reviers sah. Parulkars Leidenschaft war Verbesserung. Er wiederholte es oft: Wir müssen besser werden. Mathija und Söhne hatten den Sportplatz verbessert, natürlich kostenlos. »Was ist mit Mathija, Sir?« fragte Sartaj.
Parulkar trank in kleinen Schlucken, die er im Mund herumschwenkte. »Man hat mich gestern früh ins Büro des DG 161 bestellt.«
»Und, Sir?«
»Der DG hat einen Anruf vom Innenminister bekommen. Mathija hat damit gedroht, Klage einzureichen. Er sagt, ich hätte ihn gezwungen, für mich zu arbeiten.
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