Der Pate von Bombay
Die Stimme kam durch die geschlossene Tür. »Polizei?«
Mrs. Pandey fuhr zusammen, als erinnerte sie sich an etwas, dann schrie sie: »Du Dreckskerl, du Dreckskerl!« und hieb abermals auf die Tür ein. Doch inzwischen war sie erschöpft, die Klinge rutschte ab und schrammte über das Holz, und Sartaj konnte ihr Handgelenk zurückbiegen und ihr das Messer mühelos abnehmen. Daraufhin schlug sie mit den Händen auf die Tür ein, ihre Armreife zerbrachen, und dieser letzte Wutausbruch war schwer einzudämmen. Schließlich konnten Sartaj und Katekar sie zu dem grünen Sofa im Wohnzimmer führen.
»Erschießen Sie ihn«, sagte sie. »Erschießen Sie ihn!« Dann vergrub sie das Gesicht in den Händen. An ihrer Schulter waren grüne und blaue Flecke zu sehen. Katekar stand wieder an der Schlafzimmertür und redete leise auf Mr. Pandey ein.
»Weswegen haben Sie sich gestritten?« fragte Sartaj.
»Er will, daß ich aufhöre zu fliegen.«
»Wie bitte?«
»Ich bin Stewardeß. Er denkt ...«
»Ja?«
Sie hatte auffallende hellbraune Augen, und Sartajs Fragen ärgerten sie. »Er denkt, nur weil ich Stewardeß bin, fertige ich bei den Zwischenlandungen auch die Piloten ab.« Sie schaute zum Fenster.
Katekar führte den Ehemann ins Zimmer, die Hand in seinem Nacken. Mr. Pandey rückte seine schwarz-rot gestreifte, seidig glänzende Pyjamahose zurecht und lächelte Sartaj vertraulich zu. »Danke«, sagte er. »Danke, daß Sie gekommen sind.«
»Sie schlagen also Ihre Frau, Mr. Pandey?« blaffte Sartaj und beugte sich vor. Katekar setzte den Mann, dem noch immer der Mund offenstand, mit gekonntem Schwung unsanft aufs Sofa. Katekar war ein altgedienter Beamter, ein echter Kollege; seit fast sieben Jahren arbeiteten sie mit gelegentlichen Unterbrechungen zusammen. »Sie schlagen sie, und dann werfen Sie einen armen kleinen Hund aus dem Fenster? Und dann rufen Sie uns, damit wir Sie retten?«
»Sie behauptet, ich hätte sie geschlagen?«
»Das sehe ich selbst, ich habe doch Augen im Kopf.«
»Dann schauen Sie sich das mal an.« Mr. Pandeys Kinn zuckte. »Da, da, schauen Sie sich das an.« Er zog den linken Ärmel seiner Pyjamajacke hoch und entblößte eine silberne Uhr und vier tiefe bläuliche Ritze, die in gleichmäßigen Abständen von der Innenseite des Handgelenks bis nach außen zum Ellbogen liefen. »Und das ist noch nicht alles.« Er bückte sich, senkte den Kopf und schob seinen Kragen zurück. Sartaj stand auf und ging um den Couchtisch herum. Ein gewellter roter Striemen zog sich über Mr. Pandeys Schulterblatt; wie weit er hinabreichte, war nicht zu sehen.
»Woher stammt das?« fragte Sartaj.
»Sie hat einen Spazierstock aus Kaschmir auf meinem Rücken zerschlagen. So dick war der.« Mr. Pandey schloß Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis.
Sartaj trat ans Fenster. Jungen in Schuluniform hatten sich um den kleinen weißen Kadaver versammelt und schubsten einander näher heran. Die St.-Mary's-Mädchen hielten sich kreischend die Hand vor den Mund und flehten die Jungen an stehenzubleiben. Im Wohnzimmer sah Mrs. Pandey ihren Mann strahlend an, das Kinn auf die Brust gesenkt.
»Liebe«, sagte Sartaj, »Liebe ist ein mordender Gaandu 200 . Armer Fluffy.«
»Namaskar 443 , Sartaj-saab 539 «, rief PSI 499 Kamble durch die ganze Polizeistation. »Parulkar-saab hat nach Ihnen gefragt.«
Vier Polizisten richteten sich ruckartig auf, um gleich darauf wieder in die gewohnte bequeme Haltung zurückzusinken. Der Raum, in dem sie arbeiteten, war etwa sieben Meter breit, und quer darin standen vier Schreibtische. An einer Wand hing ein mannshohes Poster von Sai Baba 039 547 , unter der Glasplatte auf Kambles Tisch lag ein Ganesha 206 , und Sartaj hatte sich bemüßigt gefühlt, an der anderen Wand ein Bild von Guru Gobind Singh 235 aufzuhängen, eine etwas bemühte Bekundung seiner säkularen Einstellung.
»Wo ist Parulkar-saab?« fragte Sartaj.
»Er läßt einem Rudel Reporter Tee servieren und erzählt ihnen etwas über unsere neue Initiative zur Verbrechensbekämpfung.«
Parulkar war stellvertretender Polizeichef von Bezirk 13, und sein Büro lag in einem separaten Gebäude nebenan, in der Polizeidirektion des Bezirks. Er liebte Reporter und besaß ein besonderes Geschick im Umgang mit ihnen; er begegnete ihnen freundlich, und neuerdings trug er während der Interviews sogar Verse vor. Sartaj fragte sich manchmal, ob er bis spätabends Gedichte las und sie vor dem Spiegel auswendig lernte.
»Gut«, sagte er.
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