Grace & Josephine - Eingeschneit (German Edition)
Freundschaft auf den ersten Klick
GRACE
Grace saß am Flughafen auf einem dieser unbequemen Plastikstühle und wartete. Sie hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, hatte aber noch keinen einzigen Satz gelesen.
Die Leute werden noch denken, dass ich eine Analphabetin bin, wenn ich nur immer auf dieselbe Seite starre, ohne mal weiterzublättern , dachte sie und klappte das Buch zu.
Robert hatte sie zum Flughafen von Portland, Maine gebracht. Zum Glück waren sie frühzeitig losgefahren – noch mitten in der Nacht –, denn sonst hätten sie es kaum geschafft, durch dieses Schneechaos auf den Straßen rechtzeitig zum Check-In da zu sein. Wer hätte da auch ahnen können, dass das winterliche Wetter ihr einen Strich durch die Rechnung machen würde?
Der Flug nach New York hätte um Punkt sieben Uhr gehen sollen, Grace hätte längst im Flieger sitzen sollen, voller Vorfreude darauf, Josephine endlich in die Arme nehmen zu dürfen. Stattdessen saß sie noch immer hier – inzwischen war es bereits 8:18 Uhr – und hatte inzwischen den zweiten Muffin und den vierten Kaffee intus, obwohl sie den nicht einmal mochte. Sie dachte, der Kaffee würde sie vom Einnicken abhalten, denn sie war schon seit halb vier wach und mehr als müde, doch er hatte lediglich eines bewirkt: Sie wurde nur immer unruhiger und hibbeliger.
Was, wenn der Flug komplett ausfallen und sie nie zu Josephine kommen würde? Sie hatten sich beide so auf dieses gemeinsame Wochenende in New York gefreut, seit vielen Wochen Pläne geschmiedet, was sie alles machen, was sie sehen wollten.
An erster Stelle stand natürlich Christmas Shopping bei Macy`s und Bloomingdale`s. Dann gaaanz viel essen. Sie wollten nach China Town und Little Italy spazieren und sich mit chinesischem Essen und Pizza die Bäuche vollschlagen, und am Abend wollten sie es sich in ihrem Hotelzimmer bei einem guten Film mit Hershey´s Schokolade und Swiss Miss Kakao gemütlich machen, während es draußen schneite.
Piep, piep, ertönte es aus Grace` Handtasche. Sie holte ihr Handy heraus und las die nun wohl schon zwanzigste enttäuschte Nachricht von Josephine an diesem Morgen:
IMMER NOCH NICHTS NEUES?
NEIN, LEIDER NICHT, schrieb sie zurück.
OH MANN, DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN! ICH KOMME GLEICH PERSÖNLICH UND HOLE DICH!
WIE DENN? WIR SIND TOTAL EINGESCHNEIT. DU KOMMST HÖCHSTENS NOCH MIT EINEM SCHNEESCHIEBER DURCH.
DANN WERDE ICH MIR EBEN EINEN BESORGEN. LOL. NEIN, EHRLICH, GLAUBST DU, DASS ES ÜBERHAUPT NOCH KLAPPT? SONST FAHR LIEBER ZURÜCK NACH HAUSE. ES BRINGT DOCH NICHTS, WENN DU DEN GANZEN TAG AM FLUGHAFEN VERBRINGST.
UM NICHTS IN DER WELT WERDE ICH NACH HAUSE FAHREN UND MIR DIE CHANCE AUF EIN WOCHENENDE MIT DIR ENTGEHEN LASSEN! NOCH GEBE ICH DIE HOFFNUNG NICHT AUF!
Nein, sie würde weiter warten und hoffen, dass sie am Ende des Tages zusammen mit ihrer „Jo“ durch das weihnachtliche New York spazieren würde, ineinander eingehakt und fröhlich lachend, so, wie sie es sich in den letzten Wochen immer wieder vorgestellt hatte.
Sie stand auf und ging zum Kiosk, wo sie nach ein paar Hershey-Schokoriegeln griff und dabei wieder an Josephine und das unglaubliche Kennenlernen mit ihr zurückdachte.
...
Es war nicht einmal sechs Monate her. Sie hatten sich im Internet kennengelernt. Ja, jeder, dem sie das erzählte, gab gleich einen blöden Kommentar ab, wie: „Eine Internet-Freundschaft ist doch keine richtige Freundschaft!“ oder „Wie kannst du glauben, einen Menschen wirklich zu kennen, den du nur bei Facebook kennst?“, aber zwischen Grace und Josephine war es etwas anderes.
Auch wenn ihre Freundschaft noch keine Jahrzehnte andauerte, war sie etwas ganz Besonderes. Sie hatte sich unglaublich schnell und intensiv
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