Der Poet der kleinen Dinge
du fertig?«, hat Cédric mich gefragt.
»Was denkst du denn?«
Ich bin ins Haus gegangen und kurz darauf mit Rucksack, Schlafsack und meinem sonstigen Krempel wieder rausgekommen. Cédric hat mir geholfen, alles im Anhänger und in den Seitentaschen, die schon fast voll waren, zu verstauen.
Roswell schaute uns etwas ängstlich zu. Er versuchte zu verstehen. Er wirkte ganz klein in seinem Sessel. Sein Blick sprang nervös zwischen Haus und Gespann hin und her, zwischen Cédric und Olivier, zwischen Olivier und mir.
Da habe ich mich zu ihm umgedreht und ihm zugezwinkert. »Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass ich die ganze Woche hier verfaulen würde?«
Olivier ist zu ihm gegangen und hat ihm eine große Papiertüte auf den Schoß gelegt. »Das ist für dich!« Dann hat er gewartet, eine Bierdose in der Hand, an die Wand neben der Haustür gelehnt.
Roswell hatte einige Mühe, sein Päckchen aufzumachen, aber wir haben uns gehütet, ihm dabei zu helfen. Wir ließen ihn ein bisschen schmoren, zum Spaß.
»Lass dir Zeit, lass dir Zeit, wir haben eine ganze Woche vor uns!«, meinte Cédric und lachte.
Und Roswell lachte auch, was das Ganze noch schwieriger machte. Je mehr ihn etwas bewegt, desto weiter spaltet sich sein Körper von seinem Willen ab, und desto weniger ist er im Einklang mit dem, was er tun will.
Auf einmal hat er gesagt: »Oh!«
In der Tüte war ein schwarzes T-Shirt mit roten Flammen drauf. Wie das von Olivier. Ich habe ihm geholfen, es überzuziehen. Es war schwer, seinen Kopf hindurchzukriegen, und der Rest flatterte um seine spitzen Knochen herum. Es reichte ihm fast bis zu den Knien.
»Du bist so schön wie ein Lastwagen«, hat Cédric zu ihm gesagt.
Roswell hat schüchtern gelächelt, er wusste nicht recht, was er von dem Geschenk halten sollte. War das zum Abschied? Würden wir ihn einfach dalassen? Er schaute uns an, ohne etwas zu sagen, wackelig und bebend, ganz schief auf den Gartentisch gestützt.
Dann hat er gesehen, wie ich seine Decke in den Beiwagen lud – die, an der er zum Einschlafen nuckelt –, und seinen dicken braunen Pulli und seine alten Pantoffeln.
»Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich die ganze Woche über allein lassen würde? Damit du das Haus abfackelst, wenn du dir Popcorn machst?«
»Was?! Du magst Popcorn? Im Ernst?«, hat Olivier gefragt.
»Mmja, magichh!«, hat Roswell geantwortet, mit seinem berühmten Lächeln.
»Cool. Steh ich auch total drauf, müssen wir uns mal machen.«
»Cooool!«, hat Roswell gesagt.
Wir haben den Rest eingeladen und den Schlüssel unter die Matte gelegt. Meine Freundin Clo erwartete uns, am Abend würden wir bei ihr schlafen. Wir haben Roswell in den Beiwagen bugsiert, ich habe mich neben ihn gesetzt.
Dann ging es los.
G estern vor der Abreise bin ich noch mal bei Kaan vorbei. Ich wusste, dass er schon unterwegs war in die Türkei, aber ich habe ihm ein Foto von uns beiden dagelassen, und eins von mir allein, in seinem Briefkasten. Es ist das erste Mal seit langem, dass ich so was mache.
Es war wirklich Zeit zu gehen.
Bevor wir losgefahren sind, haben wir Roswell erklärt, dass wir gern alle zusammen verreisen würden, mit ihm, die ganze Woche. Wenn es ihm recht wäre.
Er hat gelacht.
Ich hatte ihm vorher nichts davon erzählt, weil es eine Überraschung sein sollte und vor allem weil ich nicht Gefahr laufen wollte, ihn zu enttäuschen, falls es in letzter Minute Probleme gegeben hätte.
Aber es lief alles bestens: Marlène und Bertrand waren auf dem Weg zur Eiergondelbahn, der Hund war untergebracht, und meine Freundin Clo freute sich auf unseren Besuch. So, wie ich sie kannte, war sie schon dabei, unsere Zimmer herzurichten und das Abendessen vorzubereiten. Ich sah sie vor mir, wie sie mit Liebe den Tisch deckte, kleine Blumensträuße zusammenstellte oder kunstvoll Servietten faltete. Sie gehört zu den Leuten, die den kleinen Dingen Raum geben, die einfach so, ohne besonderen Anlass, Girlanden und Kerzen verteilen und eine Festtafel herrichten, auch wenn es nur Nudeln gibt.
Sie verpackt das Leben in Geschenkpapier, meine Clo.
Als Olivier losgefahren ist, hat Roswell mich angeschaut, mit diesem seltsamen, verstörenden breiten Lächeln, das ich inzwischen schön finde.
In genau einer Woche würden wir ihn zurückbringen müssen, um ihn wieder in Marlènes raue Hände zu geben. Ende der Auszeit.
Wir würden ihn wieder seinem Zimmer überlassen mit der Aussicht auf die Einöde, mit dem Fernseher, der
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