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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Richtung Hühnerfarm
    W ie das Gespräch darauf gekommen ist, weiß ich nicht mehr genau.
    Es passierte einfach.
    Vielleicht hatte es mit den Kötern zu tun. Damit, dass sie im Fernsehen erzählt haben, wie viele von ihnen zum Ferienanfang im Tierheim landen. All diese braven Wauwaus mit ihrer feuchten Schnauze und den treuherzigen braunen Augen.
    »Den eigenen Hund einfach aussetzen … Was für ein Jammer!«, hat Marlène da gesagt und ihren Tobby gestreichelt. »Diese verdammten Schweine! Die Todesstrafe müssten sie kriegen!«
    »Na, hör mal. Ein bisschen Knast vielleicht, okay, da hätte ich auch nichts gegen«, hat Bertrand mit seiner ewig ruhigen Stimme geantwortet.
    Wütend habe ich den noch nie erlebt.
    Marlène hat den Kopf geschüttelt. Wenn sie von etwas überzeugt ist, lässt sie nicht locker. »Die Todesstrafe. Und basta. Nicht wahr, Tobby, mein Liebling, mein Dickerchen? Am besten mit der Guillotine, hm? Und nicht einfach zack, runter das Hackebeil, nee, nee, wenn schon, denn schon. In kleinen Schritten, ratsch, ratsch, ratsch .«
    »Klar, die Guillotine«, hat Bertrand gemeint.
    Roswell hat sich kaputtgelacht. Er lacht sich ständig kaputt.
    Ich saß in meiner Ecke und las, ohne etwas zu sagen. Ich rede selten.
    Wozu sollte das gut sein?
    Ausschlaggebend war aber vermutlich die Nummer, die Roswell etwas später am Abend abzog. Weil er sich Popcorn machen wollte, ohne jemanden zu fragen.
    Er könnte sich nur von Popcorn, Pommes und Cola ernähren. Er ist verrückt danach.
    Er hat also das Gas angezündet, ganz allein, die Pfanne aufs Feuer gestellt, einen kräftigen Schuss Öl reingekippt, die Maiskörner dazu, alles so, wie es sich gehört. Und dann hat er die Pfanne vergessen.
    Roswell hat zwar manchmal Ideen, aber mit der Umsetzung hapert es immer ein wenig. Vielleicht ist Ideen auch zu viel gesagt.
    Wohl eher Einfälle.
    Und als Marlène dann in die Küche gekommen ist, um Wasser für die Nudeln aufzusetzen, war überall dichter, beißender Rauch, der mörderisch in den Augen brannte.
    Sie hat geschrien: »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was für ein verdammter Saustall!«
    Dann hat sie hektisch das Fenster aufgerissen und alles runtergefegt, was davorstand: Abtropfsieb, Weinkrug, Salzstreuer und Salatbesteck. Sie hat die Pfanne in die Spüle gepfeffert, den Wasserhahn voll aufgedreht, es hat gezischt und gedampft. Nur der Geruch ist geblieben.
    Als sie ins Esszimmer zurückkam, brüllte Marlène, dass es reicht, wirklich reicht, ein für alle Mal! Das wäre einfach der Gipfel! Jetzt hätte er fast schon wieder die ganze Bude abgefackelt, dieser Trottel, dieser Vollidiot! Eines Tages würde das Haus nur noch ein Haufen Asche sein, und wegen wem?
    Roswell hat gelacht, aber es wirkte ziemlich unentspannt.
    Ich kenne ihn besser als alle anderen, schließlich bin ich die Einzige, der etwas an ihm liegt, und ich habe genau gesehen, dass er Muffensausen hatte, schon an der Art, wie er jede Bewegung von Marlène verfolgte, wie er sie nicht aus den Augen ließ. Bloß nicht, man weiß ja nie.
    Marlène rutscht nämlich manchmal die Hand aus. Und ihre Ohrfeigen sind nicht von schlechten Eltern.
    Aber sie hat sich nur zu mir umgedreht und geseufzt: »Schaff ihn mir aus den Augen! Ich ertrage das alles nicht mehr, er macht mich fertig!«
    »Hat er was gegessen?«, fragte Bertrand.
    »Er hat keinen Hunger!«
    Ich habe Roswell aus dem Sessel geholfen. Wir sind die Treppe hinaufgestiegen, er voran, ich hinterher, für alle Fälle. Nach einem Zwischenstopp auf dem Klo habe ich ihn in sein Zimmer gebracht. Ich habe ihm geholfen, sich auszuziehen, in seinen Schlafanzug zu schlüpfen und die Windel für die Nacht anzulegen. Ich habe ihm die Decke bis unter sein stoppeliges Kinn gezogen, die Brille abgenommen und ihm ein Glas Wasser gereicht.
    Er hat geflüstert: »Dubisssnett-nich?«
    Ich habe gesagt: »Na klar! Klar bin ich nett! Das weißt du doch, oder?«
    »Mja. Dubisssnett, du.«
    »Ja, das bin ich. Und du, du solltest das mit dem Popcornmachen lieber lassen!«
    Er hat gelacht.
    Dann habe ich auf die Nachttischlampe gezeigt und den Kopf geschüttelt.
    »Nei-nei-nein, nei-nei-nein«, hat er gesagt.
    Ich weiß, dass er Angst hat: im Dunkeln, vor Spinnen, vor Wespen, vor Gewitter.
    Und auch vor Marlène.
    Vor allem vor Marlène.
    Ich habe mit dem Zeigefinger an meinen unsichtbaren Mützenschirm getippt, okay, Chef, alles klar, Chef, ich lass dein Licht an. Er hat so breit gegrinst, dass man seine vielen

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