Der Prinzessinnenclub
kippte Papa den letzten Schluck Kaffee hinunter und zwinkerte mir aufmunternd zu. »Und viel Spaß heute!«
Statt einer Antwort verdrehte ich nur genervt die Augen. »Viel Spaß...« Papa hatte gut reden! Ich meine, was, bitte schön, sollte denn an dem heutigen Tag spaßig werden? Aber ich kannte das ja schon: Papa wünscht einem das immer - egal ob mir eine gruselige Mathearbeit bevorsteht, deren Lösungswege etwa so nahe liegen wie Sonne, Mond und Sterne, oder ob Mama ängstlich der Entfernung ihrer oberen Weisheitszähne entgegenklappert -, Papa wünscht dazu garantiert: »Viel Spaß.« Und er meint das, glaube ich, sogar ernst.
An diesem Morgen jedenfalls ging mir Papas Spruch ziemlich auf den Geist. Es ist nun mal kein bisschen lustig, auf eine neue Schule zu kommen. Und dann noch auf eine, in der man quasi keine Nase gut kennt.
Aber nicht mal Mama brachte heute auch nur ein Fitzelchen mamamäßiges Mitgefühl für mich auf. »Nun mach nicht so ein Gesicht, Diana«, sagte sie. »Du gehst ab jetzt aufs Gymnasium. Das ist doch schön! Ein bisschen wie eine zweite Einschulung. Guck mal, damals hast du dich doch auch gefreut, den Kindergarten hinter dir zu lassen und etwas Neues zu beginnen. Du konntest es kaum erwarten, endlich zu den ›Großen‹ zu gehören. Weißt du noch?«
Doch, aber das war damals! Vor etwa einhundert Jahren - da war ich mit einer riesigen Schultüte unterm Arm stolz zur Schule marschiert. Jedenfalls sehe ich auf den Fotos, die Papa damals von mir geknipst hat, wahnsinnig stolz aus. So richtig erinnern kann ich mich aber nicht mehr daran. Ich weiß nur noch, dass der Schulchor für uns gesungen hat, aber ich glaube, ziemlich schief. Und dass während der Feierstunde eine freundliche Omi hinter mir ihre Augen ständig mit einem Taschentuch abtupfte. Weil sie weinen musste, vor lauter Rührung. Später hat sich dieselbe Omi dann mit demselben Taschentuch die Nase zugehalten, weil sich ein Junge zwei Plätze weiter übergeben hatte. Mitten in die feierliche Ansprache der Schulleiterin hinein! Das muss man sich mal vorstellen! Wie wahnsinnig peinlich!!! Ich wäre gestorben! Zumindest wäre ich die nächsten vier Jahre nur noch mit Tarnkappe zur Schule gegangen. Mama meinte später, dass der »arme Junge« sicher die »ganze Aufregung nicht verkraftet« habe und sich deshalb übergeben musste. Aber ich war davon überzeugt, dass der Knallkopf einfach schon den gesamten Inhalt seiner Schultüte vertilgt hatte. Olli, so hieß der Unglücksrabe, landete nämlich in derselben Klasse wie ich. Und so hatte ich vier Jahre lang Zeit, sein Ess- beziehungsweise Fressverhalten zu studieren. Und ich sage euch: Olli ist echt der gefräßigste Kerl, den man sich vorstellen kann...! Auf einer Klassenfahrt hat er doch tatsächlich mal zwanzig Tütchen Waldmeister-Brausepulver auf einmal in sich hineingeschüttet. Bis er plötzlich jede Menge grünen Schaum vor dem Mund hatte und aussah wie ein Alien. Echt, den Anblick werd ich nie vergessen!
»Ich weiß nicht, was ich auf dem Schiller-Gymnasium überhaupt soll«, startete ich einen weiteren Versuch, Mitleid zu erregen. »Ich meine … ich kenne da echt überhaupt keinen!«
»Überhaupt keinen?!« Mama zog die Augenbrauen hoch. »Und was ist mit Kevin und Finn und mit - wie heißt sie noch mal? - Serena? Die gehen doch auch alle aufs Schiller! Oder etwa nicht?«
»Doch, schon«, räumte ich widerwillig ein. »Aber die zählen nicht. Jedenfalls nicht richtig.«
»Verstehe«, sagte Mama. Aber in einem Ton, der klarmachte, dass sie überhaupt nix verstand und meine Haltung »unmöglich« fand. Dabei ist es doch nun mal so, dass man zu manchen in der Klasse keinen Draht kriegt. Und das ändert sich auch nicht, bloß, weil man zufällig zusammen auf eine neue Schule geht. Aber Mama glaubt immer noch, dass sie mich, wie früher in der Krabbelgruppe, einfach zusammen mit irgendwelchen anderen Zwergen vor eine Kiste mit Bauklötzen setzen kann. Und wenn wir Zwerge alle »schön« zusammen spielen, kriegen wir Kekse. Und wenn nicht, doofe Apfelschnitzchen.
»Aber du lernst in deiner Klasse doch auch viele neue Kinder kennen«, versuchte Mama es jetzt noch mal. »Das ist doch spannend! Komm, Diana, du musst einfach ein bisschen offen sein.«
Mama hatte gut reden. Dabei hatte sie doch selbst gejammert, als sie letztes Jahr die Firma wechselte, um einen »Karrieresprung« zu machen (wie Papa das nannte). Wenn ich ihr damals gesagt hätte: »Nun stell dich nicht so
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