Der Rabbi
mir einen Hinweis geben?«
»Sie wissen ja, daß sie Konvertitin ist. Aber sie hat sich schon seit langem völlig als Jüdin gefühlt.«
»Sonst irgendwelche Belastungen?«
»Wir sind oft übersiedelt, bevor wir hierher kamen. Manchmal war es recht schwierig.«
Dr. Bernstein entzündete eine neue Zigarette. »Übersiedeln alle Rabbiner so oft?«
Michael zuckte die Schultern. »Manche fangen in einem Tempel an und bleiben dort bis an ihr Lebensende. Andere wechseln häufig den Ort.
Die meisten Rabbiner haben kurzfristige Verträge. Wenn man zu unbequem wird, wenn der Rabbiner der empfindlichen Gemeinde zu nahe tritt - oder sie ihm - dann zieht er eben weiter.«
»Sie meinen, daß Sie deshalb so oft weitergezogen sind?« fragte Dr.
Bernstein in einem beiläufigen unpersönlichen Ton, in dem Michael intuitiv die Technik des Psychotherapeuten erkannte. »Sind Sie der Gemeinde zu nahe getreten - oder die Gemeinde Ihnen?«
Michael nahm eine Zigarette aus der Packung, die Dan auf der Schreibtischplatte liegengelassen hatte. Ärgerlich stellte er fest, daß seine Hand mit dem Streichholz leicht zitterte. »Wahrscheinlich beides«, sagte er.
Er fühlte sich unbehaglich unter dem direkten Blick dieser grauen Augen.
Der Psychiater steckte die Zigaretten ein. »Ich glaube, der Elektroschock gibt Ihrer Frau die beste Chance. Wir könnten es zunächst mit zwölf Schocks versuchen, dreimal die Woche. Ich habe großartige Resultate gesehen.«
Zögernd stimmte Michael zu. »Wenn Sie es für das Beste halten. Was kann ich für sie tun?«
»Geduld haben. Sie können Ihre Frau jetzt nicht erreichen. Sie können nur warten, bis Ihre Frau Sie zu erreichen versucht. Wenn es so weit ist, dann ist es der erste Schritt zur Besserung.« »Danke, Dan.«
Der Arzt erhob sich, und Michael reichte ihm die Hand. »Kommen Sie doch einmal in den Tempel, an einem Freitagabend. Vielleicht wirkt mein schabess -Gottesdienst ein wenig therapeutisch auf Sie. Oder gehören Sie auch zu den atheistischen Wissenschaftlern?«
»Ich bin kein Atheist, Rabbi«, sagte Dr. Bernstein und fuhr in seine Sandalen. »Ich bin Unitarier.«
In der folgenden Woche war Michael am Montag-, Mittwoch und Freitagmorgen ziemlich unansprechbar. Im stillen verwünschte er es, daß er je Geistlicher einer psychiatrischen Anstalt geworden war, es wäre soviel einfacher gewesen, keine Details zu wissen.
Aber er wußte, daß sie um sieben in der Abteilung Templeton mit den Schockbehandlungen begannen.
Im Vorzimmer Leslie, seine Leslie, wartend auf ihren Aufruf wie die anderen Patienten. Die Schwestern führen sie an ein Bett, sie streckt sich darauf aus. Der Wärter zieht ihr die Schuhe von den Füßen und schiebt sie unter die dünne Matratze. Der Anästhesist stößt ihr die Nadel in die Vene...
Sooft Michael der Behandlung beigewohnt hatte, waren da auch Patienten gewesen, deren Venen so schlecht waren, daß man nicht stechen konnte, und der Arzt hatte sich geplagt, murrend und fluchend.
Mit Leslie geht alles glatt, dachte er dankbar. Ihre Venen sind schmal, aber ausgeprägt. Berührst du sie mit den Lippen, so spürst du ganz deutlich den Pulsschlag.
Durch die Kanüle führen sie ihr ein Barbiturat zu, und dann wird sie einschlafen, gepriesen seist du, Herr, unser Gott. Dann gibt ihr der Anästhesist eine muskelentspannende Spritze, und die normale Lebensspannung erschlafft. Die schöne Brust hebt und senkt sich nicht mehr. Das besorgt jetzt das schwarze Mundstück, das man ihr über Nase und Mund stülpt: denn der Anästhesist führt ihr Sauerstoff zu - atmet für sie. Die Gummisperre zwischen den Zähnen verhindert, daß sie sich in die Zunge beißt. Der Wärter reibt ihr die Schläfen ab, damit die halbdollargroßen Elektroden besser an der Schädeldecke haften.
Dann, auf das gelangweilte »All right« des Anästhesisten, drückt der Stationsarzt den Knopf an dem schwarzen Kästchen. Fünf Sekunden lang dringt der Wechselstrom ihr in den Kopf, ein Orkan aus Elektrizität, der ihre Glieder trotz aller entspannenden Mittel zuckend krampft und löst, krampft und löst wie im epileptischen Anfall.
Michael holte sich Bücher aus der Leihbibliothek und las alles, was er über den Elektroschock finden konnte. Und mit Schrecken wurde ihm nach und nach klar, daß weder Dan Bernstein noch irgendein anderer Psychiater genau wußte, was in dem von elektrischen Strömen geschüttelten Gehirn seiner Frau wirklich vorging. Sie hatten nichts als Theorien und die
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