Der Pakt
1
Der letzte Sommer
M agie war so etwas wie ein besonderer Gast in Sins Leben. Sie tauchte allzu selten auf, blieb nur kurze Zeit, und danach beschäftigte Sin sich damit, sich auf das nächste Mal vorzubereiten.
Sie hatte sich den Tag von der Schule freigenommen, damit sie mit ihren Tänzern die Lichter verteilen konnte. Zusammen mit Chiara hatte sie eine Stunde lang in Phyllisâ neue Musikbox gesungen, die ihre Stimmen als fremdartige, süÃe Melodien wiedergab. Dann musste sie sich beeilen, um Carl dabei zu helfen, seinen Stand mit den Messern mit Glückssteinen in den Griffen aufzubauen.
Die Magie war es wert, dass man auf sie wartete. Der Markt am Strand von Dover war einer der schönsten, den sie in diesem Jahr gesehen hatte.
Die Musiker standen hoch oben auf den weiÃen Klippen, gestreift von den Schatten der Dämmerung, während der Markt selbst auf der hölzernen Pier ein paar Schritte über dem Kieselstrand abgehalten wurde. Das Meer lag so still und glitzernd in der Bucht wie Wasser in einer blassen Hand und blasser als das Licht der Sterne konnte Sin die nächtlichen Lichter an der französischen Küste ausmachen.
Es gab noch andere Koboldmärkte in anderen Ländern. Am liebsten hätte sie auf allen gleichzeitig getanzt.
Doch im Moment war sie zufrieden, auf diesem einen hier zu sein.
Sin passte auf Toby auf, während Mama letzte Hand an den Stand legte, an dem sie die Zukunft voraussagte. Die Laternen über ihren Köpfen schwangen im Wind und lieÃen Regenbogenstrahlen auf den Kristallkugeln und tief in den Juwelen an Mamas Händen aufleuchten. Sie schaukelte Toby in seiner Wiege und Mama sang ein Lied des Koboldmarktes für sie, während sie die Karten legte.
» Still, liebes Baby, sag kein Wort.
Ein Dämonenmal, das muss ganz schnell fort.
Still, mein Kind, weinen musst du nicht,
weil Mama sich niemals die Beine bricht.
Sei doch still, liebes kleines Ding,
dann kauft dir Mama einen Zauberring.
Wirst du mit dem Ring nicht froh,
Nur ruhig, liebes Kind, denn es geht auch so.«
Sin lächelte. »Mit wem willst du heute Abend tanzen?«
»Mit dem bestaussehendsten Mann, der mich darum bittet«, antwortete Mama, und beide mussten lachen.
Mama war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gut gelaunt. Nach Tobys Geburt und nachdem Victor sie, die Frau, von der er gesagt hatte, dass er sie liebte, und seine Kinder Toby und Lydie ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte, war sie sehr lange krank gewesen.
Er war nicht Sins Vater, und ohne ihn waren sie vermutlich besser dran, aber seit er weg war, war das Geld immer knapp. Die Touristen zahlten eigentlich nur für die Antworten von den Dämonen, und um diese zu bekommen, musste man tanzen. Mama war zu krank gewesen, um zu tanzen, und Hilfe hatte sie nie akzeptiert. Nicht einmal Sins Dad hatte ihnen helfen dürfen. Sie hatten sich durchgeschlagen mit dem, was Sin durch das Tanzen verdiente.
Aber jetzt war Mama endlich wieder bereit zu tanzen, alles würde gut werden.
»Und was ist mit dir?«, fragte Mama.
Sin lächelte nur, was bedeutete, dass sie auf Nick Ryves warten würde. Seit ein paar Monaten war er nicht mehr auf dem Markt gewesen, daher war es an der Zeit, dass er wieder auftauchte.
Nick und Sin waren nicht gerade Freunde. Es war auch nicht gerade einfach, mit Nick befreundet zu sein.
Allerdings war er der beste Tänzer, den sie kannte, und deswegen mochte sie ihn. Sin respektierte Talent, und es war schwer, jemanden nicht zu mögen, wenn man es liebte, seinen Bewegungen zuzusehen. AuÃerdem lernte man eine Menge über Leute, wenn man mit ihnen tanzte. Daher achtete Sin darauf, mit jedem neuen Tänzer mindestens ein Mal zu tanzen.
»Jetzt sag nur nicht, es sei Nick Ryves.« Mama zog die Nase kraus. »Dieser Junge ist unheimlich. Und das sage ich, jemand, der fünfzehn Nekromanten persönlich kennt.«
Sin zuckte mit den Achseln. »Er ist jedenfalls besser als sein Bruder.«
»Ich weià gar nicht, was du gegen Alan hast«, entgegnete ihre Mutter wie erwartet. »Er ist sehr begabt.«
Alan Ryves war ein Junge, wie ihn sich alle Eltern, GroÃeltern und Wichtigtuer wünschten. Er war perfekt, fleiÃig, stets höflich und er verachtete die Tänzer auf ebenso höfliche Art und Weise. Er ging Sin mehr auf die Nerven als sonst irgendjemand.
»Ich weiÃ. Gleichzeitig so langweilig und so nervtötend
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