Der Ring von Ikribu
Sonja.«
»Ja.«
Olins Blick ruhte auf ihr. Das weiche orange Licht einer Öllampe schien auf Sonjas hübsche Züge und hob sie deutlich von der Dunkelheit hinter ihr ab. Die zerzauste Mähne ihres ungebändigten roten Haares fiel über ihre Schultern und den Rücken. Ihre dunklen Augen, ihre von der Birne noch leicht feuchten Lippen, der feste Busen unter der Schuppenrüstung, die schmale Taille, all das betonte der Lichtschein. Olins Augen trafen ihre.
»Sonja …« Er streckte ihr die Hand entgegen.
Sie schluckte, griff danach und nahm sie in ihre. Ein wohliges Prickeln durchzuckte ihren Arm. »Olin, ich …«
Er zog sie an sich. Sonja wehrte sich nicht. Er blies eine Locke aus ihrem Gesicht, drückte sanft die Lippen auf ihre Wange, dann auf ihren Mund. Sonja erzitterte. Olins Hände fanden ihre, hielten sie sanft, aber sicher. Und dann wurde sein Kuss brennender, und Sonja erwiderte ihn. Sie spürte, wie Olins Zunge sie liebkoste und begegnete ihr mit der eigenen …
So hastig befreite sie sich, dass Olin erschrak. »Ich – kann – nicht …«
»Du kannst nicht?« Er lachte weich in der Dunkelheit, dann seufzte er. Er wandte sich von ihr und trat erneut, müde, ans Fenster. »So viel Tod«, murmelte er. »Verzeih mir, Sonja. Vielleicht solltest du dich ausruhen.«
Als er sich umdrehte, war Sonja bereits gegangen.
7.
GEKREUZTE KLINGEN UND
GEKREUZTE HERZEN
Sonja galoppierte durch die Wiesen, fort von Suthad. Die milde Nachtluft peitschte auf sie ein, kühlte ihren Körper ein wenig ab, genau wie die Anstrengung des Rittes ihren Geist kühlte. Sie brauchte Zeit zu überlegen, Zeit allein zu sein und über alles nachzudenken, was geschehen war.
Sie galoppierte, bis sie zu einem Hain auf einem Hügel kam. Dort saß sie ab und führte ihren Rotschimmel zu einem schmalen Bach. Sie band das Pferd an einem Strauch fest und setzte sich unter einen hohen Baum.
Die glitzernden Sterne waren klar durch die säuselnden Zweige und das dunkle Laubwerk zu sehen. Der Mond wanderte hinter einer grauen Wolke hervor und vergoss sein Silberlicht auf das wiegende Gras der weiten Wiesen und zauberte bewegte Mosaikmuster auf das Moos vor Sonjas Füßen.
Sie bemühte sich, wieder ganz zu sich zu finden. Olins Kuss war keine plötzliche Laune gewesen. Von Anfang an hatte sie gespürt, dass sie einander gegenseitig anzogen, ein Gefühl, das selbst die Aufregungen durch die zauberbewirkten Schlachten und der feige Abzug der Söldner nicht auszulöschen vermocht hatten.
Aber welchen Sinn hatte es für sie? Sie konnte keinen Mann lieben. Nie! Nicht allein ihres Schwures wegen – obgleich der Schwur ihr Los bestimmte, sondern aus ganz persönlichen Gründen nicht. Auf ihren endlosen Reisen hatte sie viele Männer kennen gelernt. Die meisten waren bloß Schwertkämpfer, Gauner, Soldaten oder Handwerker gewesen. Nie hatte es auch nur einen Funken von Zuneigung zwischen ihr und einem von ihnen gegeben. Einige hatten sie lediglich als begehrenswerte Frau gesehen und sie bedrängt, in ihrem Verlangen sie zu besitzen. Ihnen war Sonja Schwert gegen Schwert begegnet – und keiner hatte sie zu besiegen vermocht.
Auf ihren Reisen hatte sie die Liebe in all ihren Formen gesehen, von der sanften, poetischen Anziehung zwischen zwei jungen Leuten, bis zur heftigen, ja brutalen Leidenschaft – häufig mit Lug und Trug verbunden – zwischen den Geschlechtern. Auch andere Frauen waren vergewaltigt worden. Wieso war die Erscheinung nicht auch ihnen zuteil geworden und hatte ihnen die Wahl gelassen, über sich selbst zu entscheiden?
Es war wohl etwas tief in ihr selbst. Etwas, das sie vor der – schrecklichen Tragödie nur schwach geahnt, das die Erscheinung jedoch lange schon in ihr gesehen hatte. Und so war sie erwählt worden, weil sowohl sie als auch die Erscheinung wusste, was in ihr steckte.
Ihre Zuneigung zu Olin konnte keine Erfüllung finden. Sie durfte sich nicht von ihrem Gefühl lenken lassen. Aber – liebte sie ihn? Sonja fragte sich, was wirklich wahre Liebe war, und ob überhaupt jemand es wusste. Sie empfand Zuneigung und Zärtlichkeit für Olin, wenn sie ihn vor sich sah. Doch obwohl sie ihn bewunderte und schätzte und obgleich ein Teil ihres Ichs – der ihr nun fast fremd erschien – ihn körperlich begehrte, durfte sie diesem Gefühl nicht nachgeben. Es war ein von ihr abgelehnter Teil ihres Ichs, der so für Olin empfand. Die Welt war weit und wunderlich, gab es in ihr nicht viele Olins? Und würde sie
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