Der Ring von Ikribu
stehen.
»Tias«, murmelte er. »Ich verstehe immer noch nicht, wieso du den Herzog töten konntest, während Sonja und ich …«
Tias schluchzte auf und kniete sich neben den Gefallenen in der schwarzen Rüstung. »Ich – ich glaube, ich weiß, wieso, Allas. Pelides hatte mich doch nicht belogen …«
»Was meinst du damit, Tias?« fragte Allas verwundert.
»Er – er war wirklich gütig zu mir, in jener Nacht, als er mir den Dolch gab. Er sagte mir, es laste kein Zauber auf der Waffe. Doch nun denke ich, dass er sie unwissend mit einem eigenen belegte. Am Ende half seine eigene gute Tat, seine Seele von Asroths Zauber zu befreien. Lach nicht, Allas, du hast selbst gehört, wie Pelides sich mit seinem letzten Atemzug bedankte.«
Allas runzelte nachdenklich die Stirn. »Vielleicht hast du recht, Tias. Vielleicht haben aber auch nur Sonjas und mein Stoß ihn so geschwächt, dass …«
»Ich glaube, Tias hat recht«, unterbrach Sonja ihn. »Doch wie dem auch sei, ich habe mich in einer anderen Sache getäuscht, Tias. Nie habe ich etwas Tapfereres erlebt, als dein Eingreifen, als Allas’ Leben durch Pelides bedroht war.«
»Ja!« pflichtete Allas ihr fest bei. »Doch etwas verstehe ich immer noch nicht. Der Ring schützte gegen Zauberkräfte, und einmal retteten wir Pelides’ Leben mit ihm. Und doch nahm er nicht den Fluch von ihm, der sein Gesicht entstellte, noch rettete er seinen Leichnam vor der Übernahme durch Asroth.«
Diesmal war es Sonja, die stirnrunzelnd dreinschaute. Nachdenklich blickte sie auf Pelides’ Leiche und berührte sie mit der Stiefelspitze.
»Ich glaube, ich weiß es«, murmelte sie. »Asroths Zauber band ihre Leben mit einem schrecklichen Geheimnis aneinander: dem Geheimnis der Wirklichkeit, das der Mensch sich bemüht, von sich fernzuhalten.«
»Woher könnt Ihr das wissen?« fragte Allas.
»Ich habe sein Gesicht gesehen«, gestand Sonja voll Grauen in der Stimme. »Er zeigte mir eines Nachts sein Gesicht, und da erkannte ich die Art des Zaubers, mit dem Asroth ihn belegt hatte. Der Ring vermochte Pelides vor zauberbewirkten Trugbildern zu schützen, wenn er mit seiner Haut in Berührung kam, aber …«
»Und war sein angeblich so schreckliches Gesicht kein solches Trugbild?«
»Nein!« flüsterte Sonja zitternd. Ihre Augen verrieten eine Furcht, wie Allas sie ihr nie zugetraut hätte. »Nein – es war Wirklichkeit! Asroth verhängte die schlimmste Strafe über ihn, die es für einen Sterblichen nur geben kann: die unverfälschte Wahrheit, wer und was er ist, zu erkennen. Niemand kann mit diesem Wissen leben, deshalb müssen wir uns über unser eigenes Wesen selbst etwas vormachen.« Sonja atmete heftig ein und fuhr mit einer Hand über die Augen, als könnte sie dadurch ein schreckliches Bild verwischen. »Danken wir Mitra und Tarim und all unseren arideren Einbildungen, dass wir das können! Ich – ich habe bereits zuviel gesagt, Allas! Frag mich nicht weiter.«
»Ich habe nie sein Gesicht gesehen«, sagte Allas. »Ich verstehe nicht, was du meinst …«
»Und doch war Pelides kein böser Mensch«, warf Tias lächelnd ein. »Das weiß ich jetzt. Er hat mich nicht belogen, und seine gute Tat hat ihn geläutert. Seht!« Sie bückte sich und griff mit beiden Händen nach Pelides’ Helm.
»Tu’s nicht!« riefen Sonja und Allas gleichzeitig.
Doch Tias, die sah, dass der Helm mit Lederbändern gehalten wurde, durchtrennte sie bereits mit dem Dolch, den Pelides ihr geschenkt hatte. Sie legte die Klinge zur Seite und zog der Leiche den Helm vom Kopf. Unwillkürlich wandte Sonja das Gesicht ab. Sie hörte Allas laut Luft holen. Sie spürte, wie es ihr innerlich kalt wurde, stählte sich und drehte sich wieder um, um sich dem entblößten Grauen zu stellen.
Sie sah Tias mit Tränen auf den Wangen zu ihr hochlächeln. Neben dem Mädchen lag der tote Pelides ohne seine Maske – und sein Gesicht wirkte jetzt ruhig und von innerem Frieden erfüllt und war so von männlicher Schönheit, wie es gewesen sein musste, ehe Asroth es verwandelt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher