Der Ring von Ikribu
Leichen auf dem Fliesenboden. Stumm hob er die Hände. Es wurde dunkler in dem Raum, und aus den tiefsten Schatten krochen gedrungene, tintenschwarze Gestalten wie gekrümmte Zwerge mit spitzen Ohren und glühenden grünen Augen. Lautlos hoben sie die Leichen auf und schleppten sie in den Schatten irgendwohin.
Die Fackeln flammten auf, und wieder war das Gemach auf die gleiche düstere Weise beleuchtet wie zuvor. Nirgendwo war mehr eine Spur der Leichen oder Zwerge zu sehen.
Nun stieg Asroth von seinem Podest hinunter und trat vor den Silberspiegel. Angespannt blickte er hinein und wisperte drohend: »Wo ist der Ring? Zeig mir den Ring!«
Umsonst. Die alten Diener Ikribus hatten ihn zu gut versteckt, ihn zu sorgfältig, Jahr um Jahr, mit Schutzzauber bedeckt. Und Asroth, der erst vor kurzem aus jahrhundertelangem Schlaf erwacht war, hatte noch nicht genug seiner Zauberkräfte zurückgewonnen, um den verschleiernden Schild zu verdrängen.
»Zeig mir den Ring!«
Er packte den Spiegel mit den klauengleichen Händen. Noch grimmiger glühten seine Augen als zu dem Zeitpunkt, da er Pelides’ Krieger getötet hatte. Am ganzen Körper zitterte er in der Willensanstrengung, den Schutz zu durchbrechen, der Ikribus Ring vor ihm verbarg.
»ZEIG – MIR – DEN – RING!«
Und plötzlich – obgleich seine Sicht durch Anstrengung verschwommen war, seine Knie zitterten, die dünnen Gliedmaßen sich verkrampften und die Adern durch die Haut quollen – bescherte seine ungeheure Konzentration ihm ein flüchtiges Bild. Auf dem uralten Spiegel zeichnete sich grau und unscharf eine Stadt ab – eine mauerumgebene Stadt, die sich dunkel von einer grünen Tiefebene abhob.
Asroth strengte sich noch stärker an, doch schon verschwamm das Bild und war verschwunden. Eine Stadt hatte es gezeigt. Ja, eine Stadt – und Asroth hatte sie erkannt.
Er entspannte sich, stieß gegen ein Tischchen, und fast hätte die ungeheure Anstrengung ihm die Sinne geraubt. Er wankte über den kalten Fliesenboden zurück zu seinem Thron. Ja, er kannte die Stadt, und sie lag nur wenige Tagereisen von seiner Festung entfernt.
Bald würde er den Ring haben.
1.
DIE SUCHE
Außerhalb der Schenke tobte der Sturm in dieser Nacht. Drei Tage schon regnete es unablässig, und nun goss es wie aus Eimern. Dicke graue Wolken drängten sich am schwarzen Himmel. Blitze zuckten und erhellten immer wieder flüchtig das nächtliche Land, wie Mond und Sterne es nicht vermochten. Die vielen kleinen Flüsse von Südkoth waren angeschwollen und drohten das Land zu überfluten. Auf den wenigen Straßen in diesem Gebiet plagten die Wagen sich durch den Schlamm, durch den die Pferde knöcheltief wateten.
Im Innern der einsamen Herberge, an einer höher gelegenen Straße, auf halbem Weg zwischen Stadt und aufgeweichtem Wiesenland, zechten Männer und Frauen und verfluchten den Sturm. Überfüllt war die Schenke mit Reisenden, die sich in den vergangenen drei Tagen, vom Regen aufgehalten, hier eingefunden hatten. Doch obwohl sie dicht gedrängt saßen, haderten die meisten von ihnen nicht mit ihrem Los, denn Izak, der Wirt, hatte genug zu essen und zu trinken für sie, denn er sorgte immer dafür, dass er ausreichend Vorrat hatte. So fehlte es der buntgewürfelten Menge an nichts, und sie vergnügte sich lärmend, während die Frühlingsflut das Land ringsum überschwemmte.
Unter den Zechenden saßen dicht an dicht narbige Söldner aus den verschiedenen Reichen neben gerüsteten kölnischen Soldaten. Zivilisten waren nicht allzu viele anwesend: zwei Kaufleute, eine bedauernswerte Edelfrau und ihre Leibmägde, die sich gezwungen sahen, den Tisch mit mehreren schlampigen und allzu freundlichen jungen Mädchen zu teilen. Alle Anwesenden waren den wimmernden Klängen eines lautespielenden Sängers in Lumpen ausgesetzt – einem jungen Nemedier, der in keiner Burg Aufnahme zu finden vermocht hatte, was kein Wunder war, denn selbst das Winseln der Hunde um den Herd war melodischer.
Ein Mann brüllte rau nach einem neuen Krug Bier; ein anderer forderte eine Schankdirn auf, sich auf seinen Schoß zu setzen; während ein dritter den Nemedier fluchend, aber gutmütig wissen ließ, wo er, statt hier, auf seiner Laute klimpern sollte.
»Und wenn du es müde bist, dann öl dir die Stimme mit einem Krug Bier, vielleicht hilft ihr das. Da hast du ein Kupferstück!« Er warf es ihm zu, dann wanderte sein Blick grinsend über die Menge. An einem großen jungen Mann, der neben
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