Der rote Würfel
Vampir war er eine absolute Nervensäge.
Ich muß an Ray denken.
Er ist noch nicht einmal zwei Tage tot.
»Mein Schatz«, flüstere ich. »Ich trauere um dich.«
Zeit für Kummer gibt es nicht; eigentlich nie. Auch nie für Freude, denke ich verbittert. Nur für Leben, Schmerz und Tod. Gott hat diese Schöpfung nicht geplant. Für ihn war sie ein Witz, ein Traum. In einem meiner Träume hat Krishna mir einmal viele Geheimnisse verraten. Aber vielleicht hat er mich dabei ja belogen. Das wäre typisch für ihn gewesen.
Gerade als ich fertig damit bin, das Benzin zu verteilen und die Bude auseinanderzunehmen, höre ich, wie draußen Autos näherkommen. Sie haben keine Sirenen eingeschaltet, ich weiß aber trotzdem, daß es Polizeiautos sind. Polizisten fahren anders als normale Leute. Schlechter. Sie fahren schneller, und die Beamten in diesen Einsatzwagen haben es eilig, hier anzukommen. Meine Ohren sind extrem gut, und ich kann mindestens zwanzig Fahrzeuge heraushören. Was führt sie hierher?
Ich schaue Joel an. »Wollen sie Eddie holen?« frage ich ihn. »Oder mich? Was hast du deinen Vorgesetzten erzählt?«
Vielleicht bin ich zu vorschnell mit meinem Urteil, zu streng. Los Angeles hat in letzter Zeit viel Merkwürdiges erlebt, viele Morde, die auf das Konto von Übermenschen gehen. Vielleicht hat Joel mich gar nicht hintergangen, jedenfalls nicht mit Absicht. Vielleicht habe ich mich selbst hintergangen. Ich bin nachlässig geworden auf meine alten Tage. Rasch gehe ich auf Joel zu und schüttele ihn durch.
»Wach auf«, sage ich. »Wir müssen weg hier.«
Schläfrig öffnet er die Augen. »Du siehst so anders aus«, flüstert er.
»Du bist es, der anders ist. Deine Augen.«
Plötzlich wird ihm bewußt, was geschehen ist. »Hast du mich zu einem anderen gemacht?«
»Ja.«
Er schluckt. »Bin ich noch ein Mensch?«
Ein Seufzer dringt mir über die Lippen. »Du bist ein Vampir.«
»Sita.«
Ich lege ihm einen Finger auf den Mund. »Später. Erst mal müssen wir hier schleunigst weg. Jede Menge Bullen im Anmarsch.« Ich ziehe ihn auf die Beine, und ein Stöhnen kommt über seine Lippen. »In ein paar Minuten wirst du dich kräftiger fühlen. Kräftiger als jemals zuvor.«
In der Küche finde ich ein Plastikfeuerzeug, und wir marschieren auf die Haustüre zu. Doch noch bevor wir ankommen, höre ich, wie draußen drei Streifenwagen mit quietschenden Reifen halten. Wir rennen zur Rückseite, aber dort bietet sich das gleiche Bild. Mit gezogener Waffe sind die Bullen aus den Autos gesprungen; die blaurot flackernden Einsatzlichter graben sich in den Nachthimmel hinein. Weitere Fahrzeuge kreuzen auf, monströse Panzerwagen mit Spezialkommandos. Scheinwerfer werden aufgeblendet und tauchen das Haus in gleißendes Licht. Wir sind umzingelt. Solche Situationen behagen mir nicht. Anders gesagt, sie behagen mir sehr: in meiner Eigenschaft als Vampir nämlich. Ich will damit sagen, wenn ich in die Ecke gedrängt werde, bringt das meine bösartigsten Seiten zum Vorschein. Meine Abscheu vor Gewalt, die ich mir vor kurzem zugelegt hatte, vergesse ich rasch wieder. Als ich im Mittelalter einmal von einem wütenden Mob umzingelt war, habe ich über hundert Männer und Frauen umgebracht.
Natürlich hatten die damals noch keine Schußwaffen.
Eine Kugel in den Kopf könnte mich wohl schon töten.
»Bin ich wirklich ein Vampir?« fragt Joel, noch immer bemüht, Schritt zu halten mit dem, was geschehen ist.
»Ein FBI-Agent bist du nicht mehr«, murmele ich.
Er richtet sich auf und schüttelt sich. »Bin ich wohl. Jedenfalls denken sie das. Laß mich mit ihnen reden.«
»Warte.« Ich muß nachdenken. »Ich kann nicht zulassen, daß sie Eddies Überreste untersuchen. Wer weiß denn, was mit seinem Blut dann noch alles passiert? Wer weiß, was sein Blut noch immer anrichten kann? Ich muß es vernichten, und um das zu tun, muß ich das Haus hier niederbrennen.«
Draußen ertönt eine barsche Stimme. Über Megaphon fordert uns ein Mann auf, mit erhobenen Händen herauszukommen. Was für eine phantasielose Art und Weise, uns zum Aufgeben zu bringen.
Joel wußte, was mit Eddie los war. »Ich wunderte mich schon, wieso hier alles nach Benzin stinkt«, sagt er. »Mach hier ruhig ein Feuerchen, da habe ich kein Problem mit. Aber was dann? Du kannst doch nicht gegen diese ganze Armee angehen.«
»Ach, kann ich nicht?« Ich spähe aus dem Vorderfenster und richte den Blick hoch in den Himmel. Sie haben einen Helikopter. Und wieso? Alles nur, um den
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