Ein sinnliches Angebot
1. KAPITEL
Nur ein paar Meter von Luke entfernt warfen sich zwei fast nackte Frauen lachend in die Wellen, und er konnte nur desinteressiert gähnen.
Ich muss wirklich ziemlich ausgebrannt sein, dachte er. Am Ende meiner Kräfte.
Hinter ihm, auf den Klippen von Malibu, lag sein Haus, vor ihm erstreckte sich der Strand mit den Bikinischönheiten, doch er fühlte nur Leere und Erschöpfung. Im Grunde kam er sich vor wie ein Zombie, der willenlos durchs Leben lief. Doch wen interessierte das schon?
Leider half ihm nicht einmal Schlaf. Jedenfalls heute nicht. Wenn er die Augen schloss, sah er immer wieder dieselben Bilder vor sich:
Seine Hände waren blutüberströmt, und auch sein Kittel war mit Blut bespritzt. Er kniete auf der Tolltrage über dem reglosen sechsjährigen Jungen. Sanitäter schoben sie im Laufschritt einen Gang entlang zum OP, während er lautstark Anordnungen erteilte und dem kleinen Jungen die blutende Wunde zuhielt. Gleichzeitig flehte er innerlich, dass es noch nicht zu spät sein möge.
Plötzlich wurde Luke aus seinen Gedanken gerissen. „Sagen Sie, wieso sind Sie nicht da unten bei diesen Bikinischönheiten? Warum amüsieren Sie sich nicht mit denen im Wasser?“
Luke stöhnte auf, als er die Stimme mit dem starken spanischen Akzent hörte, und öffnete die Augen wieder. Carmen De Costa meinte, ihn mittlerweile gut genug zu kennen, um ihn herumkommandieren zu können. Die Hände in die breiten Hüften gestemmt, stand sie da und wartete offenbar auf eine Antwort.
Luke fragte sich, ob er heute eigentlich von all seinen Mitmenschen diese altklugen Blicke erntete. „Vorsicht“, sagte er warnend. „Versuchen Sie gar nicht erst, mich zu verkuppeln. Ich will mich nur entspannen.“
„Na prima. Das tun Sie viel zu selten.“ Die dunkelhaarige Carmen bewegte sich trotz ihres Gewichts überraschend schnell und elegant, als sie sich neben Luke in den Sand setzte.
Eigentlich war es ihre Aufgabe, sein Haus sauber und ordentlich zu halten. Offenbar gönnte sie sich gerade eine Pause, um ihn an ihren Weisheiten über das Leben teilhaben zu lassen. Das kannte er schon. Sie mischte sich ständig ein und gab sich alle Mühe, ihm seine längst verstorbene Mutter zu ersetzen.
Ich brauche keine Mutter, dachte er. Die habe ich noch nie gebraucht. Doch obwohl er sich das schon seit langem sagte, war es ihm noch nie ganz gelungen, sich selbst davon zu überzeugen.
Luke ließ seinen Blick über die schäumenden Wellen und die albernen Blondinen in ihren Bikinis schweifen und sah in Gedanken doch nur immer wieder Dr. Leo Atkinson aus dem Krankenhaus vor sich. Luke leitete im „South Village Medical Center“ die Notaufnahme, aber Leo war der Leiter der Chirurgie. Außerdem war er der Vorgesetzte aller leitenden Ärzte. Im Grunde standen sie zwar auf derselben Stufe, doch Leo saß im Vorstand des Krankenhauses und war auch Mitglied des Stadtrats. Deshalb hatte Leo wesentlich mehr Macht als er.
Luke machte das nichts aus. Er wollte lediglich seine Ruhe haben, um Patienten zu heilen. Mit der Verwaltungspolitik im Krankenhaus wollte er sich so wenig wie möglich befassen.
„Du bist zu weit gegangen, Luke“, hatte Leo gesagt. „Für unsere Öffentlichkeitsarbeit bist du ein Albtraum, und jetzt müssen wir leider etwas unternehmen. Sonst verlierst du deinen Posten als Leiter der Notaufnahme.“
Ihm war natürlich sofort klar gewesen, worauf Leo sich dabei bezogen hatte. Es ging um seine Bemerkungen über die Bürokraten in der Krankenhausverwaltung. Er hatte sich wahnsinnig darüber aufgeregt, als er erfahren hatte, dass das Krankenhaus die „Healing Waters Clinic“ finanziell unterstützte, und hatte das als idiotisch bezeichnet. In dieser Klinik wurde nicht einmal Schulmedizin praktiziert. Das Krankenhaus fühlte sich dieser Klinik für Naturheilkunde verpflichtet, weil dort nur ambulant behandelt wurde und Patienten, die über Nacht versorgt werden mussten, von dort in das Krankenhaus verlegt wurden.
Lukes Bemerkung war an die Presse durchgesickert, und die Journalisten hatten sie gierig aufgenommen und sofort veröffentlicht. Die Wirkung hatte er umgehend zu spüren bekommen. Die Eigentümerin der Klinik hatte den Vorstand des Krankenhauses angerufen, der Vorstand hatte sich an Leo gewandt, und der war zu ihm gekommen.
„Nimm die Bemerkung zurück“, hatte Leo empfohlen. „Begrenz den Schaden.“
Das war aber nicht so einfach für ihn, denn er sah die Welt mehr oder weniger schwarz oder
Weitere Kostenlose Bücher