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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Aufregendes in der Zukunft tun, wenn du jetzt kein Geld verdienst?"
„Na ja, vielleicht hast du recht. Hast du noch mehr Ideen auf
Lager?"
„Eine ganze Menge. Zum Beispiel die Waren anders ausstellen.
Und Werbung machen. Und..."
Sie brach ab und starrte aus dem Fenster. Der Zug dampfte an der
Themse entlang; der Spätherbstnachmittag neigte sich rasch dem Ende
zu, und der Fluß sah grau und kalt aus. Dieses Wasser würde bald an
Hangmans Kai vorbeifließen, dachte sie. Wir streben beide in dieselbe
Richtung.
„Was ist?" fragte er.
„Frederick, kannst du mir helfen, etwas Opium zu kaufen?"

MADAME CHANG
    Am nächsten Tag nahm Frederick Sally mit ins East End. Im Jahr
zuvor hatte er seinem Onkel bei einem Projekt geholfen, bei dem sie
Londoner Alltagsszenen fotografierten, und dabei hatten sie
versuchsweise Magnesium benutzt. Dieses Magnesiumlicht hatte sich
nur zum Teil als wirksam erwiesen, aber Frederick hatte im Verlauf
des Projekts eine Reihe von Bekanntschaften gemacht, einschließlich
der Besitzerin einer Opiumhöhle: einer Dame namens Madame
Chang.
    „Meistens sind diese Opiumhöhlen scheußlich", sagte er, als sie in
der Pferdebahn saßen. „Ein Brett zum Draufliegen, eine schmutzige
Decke und 'ne Pfeife, das ist alles. Aber Madame Chang kümmert
sich um ihre Kunden, und sie hält auf Sauberkeit. Wahrscheinlich,
weil sie das Zeug nicht selbst nimmt."
„Warum greift die Regierung da nicht ein?"
     
„Weil die Regierung das Zeug selbst anbaut und verkauft und 'n
ganz schönen Gewinn damit macht."
    „Das kann doch nicht sein!"
„Weißt du eigentlich nichts von Geschichte?"
„Nein -- nicht viel."
„Wir haben vor dreißig Jahren einen Krieg wegen Opium geführt.
    Die Chinesen haben Widerstand gegen englische Kaufleute geleistet,
die Opium ins Land geschmuggelt haben. Sie haben versucht, das zu
verbieten, deshalb haben wir dann einen Krieg angefangen und sie
gezwungen, es zuzulassen. In Indien wird es unter der Aufsicht der
Regierung angebaut."
    „Aber das ist doch furchtbar! Und unsere Regierung läßt das immer
noch zu? Ich kann es einfach nicht glauben."
„Dann frag mal Madame Chang. Wir müssen jetzt aussteigen, den
restlichen Weg gehn wir zu Fuß."
Das Fuhrwerk hatte an der Haltestelle West India Dock
haltgemacht. Jenseits des Docktores erstreckte sich zur Linken auf
über einer halben Meile eine Reihe von Lagerhallen, und über den
Dächern ragten Schiffsmasten und Kranbäume wie die Finger eines
Skeletts in den grauen Himmel. Sie schlugen den Weg nach rechts ein,
auf den Fluß zu. Dabei kamen sie an den großen, massigen
Dockgebäuden vorbei, wo ihr Vater sich wahrscheinlich oft in
geschäftlichen Angelegenheiten aufgehalten hatte, und bogen dann in
eine Gasse ab und in ein Labyrinth von Höfen und Seitenstraßen.
Einige davon hatten nicht einmal einen Namen, aber Frederick kannte
den Weg und mußte nie überlegen. Barfüßige Kinder spielten
schmutzig und zerlumpt im Abfall und mitten in stinkenden
Wasserlachen, die sich überall zwischen dem Kopfsteinpflaster
gebildet hatten. Frauen, die an der Haustür standen, schwiegen
plötzlich, als sie vorbeigingen, und starrten mit feindseligem Blick
und gefalteten Armen hinter ihnen her. Sie sehen so alt aus, dachte
Sally; sogar die Kinder hatten spitze Greisengesichter mit runzligen
Brauen und dünnen, zusammengepreßten Lippen. Einmal stießen sie
am Eingang zu einem engen Hof auf eine Gruppe Männer. Ein paar
lehnten an der Mauer, ein paar saßen auf den Stufen. Ihre Kleidung
war zerrissen und dreckverschmiert, ihre Augen voller Haß. Einer von
ihnen stand auf, und zwei andere lösten sich von der Mauer, als
Frederick und Sally näherkamen, als wollten sie ihnen den Zutritt
verwehren. Aber Frederick ging genauso schnell weiter. Er ging direkt
auf den Eingang zu, und die Männer machten im letzten Augenblick
Platz und schauten verlegen zur Seite.
„Arbeitslos, die armen Kerle", sagte Frederick, als sie um die Ecke
bogen.
„Aber es muß doch Arbeit auf den Schiffen oder auf den Docks
geben oder sonst irgendwas. Man braucht doch immer Arbeiter,
oder?"
„Nein, eben nicht. Weißt du, Sally, in London gibt es Dinge, die
lassen Opium nicht schlimmer erscheinen als Tee."
Er meinte wohl die Armut, und als sie sich umschaute, mußte sie
ihm recht geben.
Kurz darauf kamen sie zu einer schmutzigen Holztür in einer
schmutzigen Gasse. Neben der Tür war ein Schild, auf dem
chinesische Buchstaben in Schwarz auf Rot

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