Der Saubere Tod
den schwarzen Fensterhöhlen. Das würde es nicht mehr geben. Ob Robert wohl auch irgendwo hier war? Über Lautsprecher kam die Nachricht, daß die Polizei eine nächtliche Wache gestattet hatte. Johann wußte, daß nichts mehr geschehen würde, und ging.
Auf dem Hinterhof war es still und dunkel wie in einem Dorf. Die großen Scheiben der Gewerbeetagen waren schwarz, nur der dritte Stock wurde von fahlem Neonlicht erleuchtet, das matte Schatten auf die anderen Gebäude und die Brandmauer warf, hinter der eine Schneise zwischen die Häuser geschlagen war. Hinter der Mauer stand ein dünner Baum, dann verlor das Neonlicht seine Kraft, den Rest schluckte die Nacht. Die Fenster der Tischlerei im Erdgeschoß waren vergittert. Johann stieg in dem breiten steinernen Treppenhaus nach oben. Im dritten Stock war die rostfarbene Feuertür nur angelehnt, und von drinnen war Musik zu hören. Er drückte gegen die schwere Tür und trat ein.
Er stand in einem großen weißen Raum mit grauem Zementfußboden, der von einer Neonröhre weit oben ausgeleuchtet wurde. Der Raum war ein Luftschutzraum, eine verlassene Theaterbühne, ein langaufgegebenes Filmstudio. Die AF N-Musik wehte durch die Leere.
Auf einem weißgestrichenen Gartenstuhl saß eine Frau über Papiere gebeugt, die auf einem weißen Gartentisch gestapelt waren. Johann trat einen Schritt vor, und der Zementknirschte unter seinen Schuhen. Die Frau drehte sich um. Sie hatte rotblondes Haar. Sie trug ein verblaßtes, orientalisch aussehendes Hauskleid. Sie war barfuß. Mißtrauisch blickte sie Johann an. Er fragte nach Robert. Das Gesicht der Frau wurde noch mißtrauischer. Sie sagte, daß Robert nicht da sei. Und wann kommt er wieder? Gar nicht mehr. Die Frau schwieg und sah ihn an, und Johann wurde klar, daß er sich darauf verlassen hatte, hier die Nacht verbringen zu können. Die Frau lachte auf, er mußte seltsam ausgesehen haben. Sie fragte ihn, ob er ein Freund Roberts sei. Johann nickte. Sie stand auf. Willst du ein Bier? Johann nickte. Ich glaube nicht, daß noch was da ist. Teure Miete, aber keine Organisation. Sie öffnete die Türen der beiden Kühlschränke, die am Ende des Raumes standen. Sie waren leer. Warte, ich hole was aus den Privatbeständen. Sie verschwand hinter einer Tür. Wenn sie sich bewegte, lachte und sprach, wich der Eindruck der mißtrauischen Strenge sofort. Sie wirkte zielstrebig, und ihre Stimme war rauh, ihr Gang sicher und etwas breitbeinig. Sie kam mit zwei Bierdosen zurück.
Johann war müde und dankbar. Es tat wohl, jemanden zu sehen, der einfache Dinge ohne Umschweife und ohne Zweideutigkeiten tat. Die Frau setzte sich und lächelte Johann entschuldigend an. Dann sagte sie ihm, daß Robert schon seit Monaten fort sei und auch nicht wiederkommen werde. Johann war geschockt. Die Frau sah ihn vorwurfsvoll an. Als sein Freund solltest du’s wissen, oder aus der Zeitung. Oder liest du sie nicht? Johann erklärte, woher er Robert kannte. Sagst du mir nun, was los ist, oder nicht? Er wurde ungeduldig.
Sicher. Er ist vor der Polizei abgehauen, nach Holland. Sie zog die Augenbrauen hoch. Ins politische Asyl. Johann sprang auf. Dann schlug eine Welle von Müdigkeit über ihm zusammen, und es war unmöglich, die darin herumtanzenden Worte ordentlich zueinanderzubringen.
Die Frau legte ihre Papiere zusammen und begann Johann zu erzählen. Sie hielt nicht viel von der ganzen Geschichte und noch weniger von Robert. Sie saß am Tisch, ihre Hände lagen unbewegt in ihrem Schoß, eine steile Falte stand zwischen ihren Augenbrauen, nur ihre Mundwinkel waren in Bewegung, nach oben verzogen zu ironischem Lächeln, nach unten zuckend in zynischer Verachtung, so eilte ihre Beschreibung zwischen Spott und pflichtschuldiger Solidarität hin und her. Die Staatsanwaltschaft hatte schon lange ein Auge auf Roberts Zeitschrift geworfen, die in einer stetig fallenden Auflage einen sehr ästhetischen deutschen Politikjournalismus betrieb. Das Blatt war ungeheuer staatsgefährdend, und die eifrigsten Leser waren die Herausgeber selbst. Das Ende kam in Sicht, als man Streit über die Konzeption bekam. Die anderen wollten ML bleiben, während Robert eher eine Art High-Tech-Anarchie vorschwebte. Er bestand darauf, daß die Mikrochips die soziale Revolution brächten. Jedenfalls mußte die Staatsanwaltschaft irgend etwas finden, denn vor einem offenen Verbot schreckte sie zurück. Und es war gar nicht so schwer, etwas zu finden, da die Zeitschrift schon immer
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