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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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abschütteln. Der Aufstieg auf einen Berg. Herabstürzendes Geröll. Und irgendetwas Unaussprechliches, das oben auf mich wartete.
    Merle war schon unterwegs. Das Tierheim plante einen Tag der offenen Tür und es gab hunderttausend Dinge zu regeln und vorzubereiten. Sie hatte mir einen Zettel auf den Tisch gelegt. Ich bringe ein paar DVDs mit. Besorgst du was Leckeres dazu? Freu mich auf heute Abend. Merle.
    Auf der Fahrt zum Dienst hörte ich Musik. Meine Mutter hatte mir zum Geburtstag eine CD von Edith Piaf geschenkt, deren irgendwie altmodische Stimme mich sonderbar berührte.
    »Lies mal ihre Autobiografie«, hatte meine Mutter mir geraten. »In dieser Stimme steckt ein Leben - das kannst du dir nicht vorstellen.«
    Das Gesicht auf dem Booklet wirkte so zart, so angegriffen und ungeschützt, dass die fulminante Stimme gar nicht dazu passen wollte. Und dann … etwas war in dieser Stimme, das mich zurückschrecken ließ und mir nicht erlaubte, mich einfach hineinfallen zu lassen.
    Heute verlief die Fahrt zäh. Seit Monaten war Bröhl wegen irgendwelcher Kanalarbeiten Dauerbaustelle. Die Leute quittierten das mit aggressivem Fahrstil, wütenden Hupkonzerten und damit, dass sie beim geringsten Anlass den Mittelfinger aus dem Fenster streckten.
    Trotz mehrerer Staus war ich ein bisschen zu früh und hatte Zeit, in Ruhe meinen Wagen abzustellen und noch kurz zur  Apotheke zu laufen, um neue Tabletten gegen meinen Heuschnupfen zu kaufen. Ich war gegen Gräser allergisch, deren Pollen allmählich zu fliegen begannen.
    Die Apothekerin hatte mir eine günstigere Variante der Tabletten empfohlen, die ich üblicherweise nahm. Ich bezahlte, faltete den Beipackzettel auseinander und ging lesend auf die automatische Schiebetür zu, als ich mit einem jungen Mann zusammenstieß, der in genau diesem Augenblick hereinstürmte.
    »Hoppla«, sagte er und fasste mich behutsam an den Schultern.
    Ich wich instinktiv zurück und er ließ mich los.
    »Meine Schuld, ich hab nicht aufge…« Erst da sah ich ihm ins Gesicht und erkannte ihn. Sein Lächeln war jungenhaft und unbekümmert. Er schien sich über unsere Begegnung richtig zu freuen.
    »Das ist ja eine nette Überraschung«, sagte er.
    Wir standen direkt vor der Tür und allen im Weg. Aus einer merkwürdigen Übereinstimmung heraus gingen wir nach draußen, um uns weiter zu unterhalten.
    »Wohnen Sie in dieser Gegend?«, fragte er.
    Meine Anschrift hatte dick und fett auf dem Kaufvertrag gestanden, aber er schloss bestimmt viele solcher Verträge ab und konnte nicht alle Einzelheiten im Kopf behalten.
    »Nein. Ich arbeite hier in der Nähe. Und Sie?«
    »Bin beruflich unterwegs.«
    Genau der Typ, auf den Merle abfuhr. Sie hatte einen ganzen Tag lang von ihm geschwärmt. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich daran dachte. Wie würde sie mich beneiden, wenn sie wüsste, dass ich hier stand und mit ihm redete.
    »Ich hätte mich sowieso heute oder morgen bei Ihnen gemeldet«, sagte er.
    Das wunderte mich. Ich schaute ihn fragend an.
    »Ihr Wagen wurde versehentlich für den Verkauf freigegeben, obwohl er vorher ein letztes Mal durchgecheckt werden sollte.«
    »Das heißt, ich muss ihn noch einmal vorbeibringen?«
    »Ich fürchte, ja. Es sei denn …« Er sah auf seine Armbanduhr. »Hätten Sie vielleicht jetzt Zeit für eine kurze Probefahrt?«
    Unmöglich. Frau Stein hatte einen Termin außer Haus, da wurde im Heim jede Hand gebraucht. »Wie lange würde das denn dauern?«
    Er hob die Schultern. »Zehn, fünfzehn Minuten?«
    Wenn ich meine Mittagspause vorverlegte und den ganzen Tag durcharbeitete, konnte ich mir den Aufwand ersparen, extra zur Werkstatt rauszufahren. Ich zog mein Handy aus der Tasche.
    Fünf Minuten später saßen wir in meinem Wagen. Der Verkehr war nicht mehr ganz so dicht und wir kamen gut durch. Er wollte ein Stück Landstraße fahren, um das Verhalten des Wagens auf schneller, gerader Strecke zu testen.
    »Ich heiße Manuel«, sagte er. »Und wie war dein Vorname noch mal?«
    »Jette«, antwortete ich.
    Er war nicht viel älter als ich, da erschien es mir ganz natürlich, dass wir uns duzten.
     
    Er befand sich in einem unbeschreiblichen Aufruhr. Nie hätte er damit gerechnet, dass der Zufall ihm so in die Hände spielen würde.
    Sein ursprünglicher Plan war es gewesen, das Mädchen am Abend nach ihrer Arbeit abzufangen. Der Parkplatz war um diese Zeit so gut wie leer, das hatte er recherchiert. Aber ihren Besuch in der Apotheke für eine ganz

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