Der Schattenprinz
während die äußeren Mauern mit Mörtel glatt verputzt wurden, so daß ein Erklettern weiter erschwert wurde.
Ungefähr in der Mitte jeder Mauer ließ Leppoe zwei von Lakes Geschützen aufstellen. Sie wurden von Lake und den zwölf Männern, die er für ihre Bedienung ausgebildet hatte, auf ihre Reichweite und Streuung hin getestet. Säckeweise wurde Bleischrot neben den Waffen gelagert, dazu mehrere tausend Pfeile.
»Sieht alles ziemlich stark aus«, meinte Thorn zu Ananais. »Aber Dros Delnoch ist es nicht!«
Ananais schritt die Mauer von Magadon ab und versuchte, mögliche Angriffslinien zu berechnen. Die Mauern boten Schutz vor Ceskas Kavallerie, doch die Bastarde würden keine Schwierigkeiten haben, diese Mauern zu erklettern. Leppoe hatte Wunder bewirkt, sie bis zu fünf Meter hoch zu errichten, doch das war noch nicht genug. Lakes Geschütze würden bis zu einer Entfernung von zehn Metern von den Mauern schwere Verwüstungen anrichten, doch auf kürzere Distanz würden sie nutzlos sein.
Ananais schickte Thorn zu Pferd in das gegenüberliegende Tal von Tarsk. Dann ließ er zwei Männer dieselbe Strecke laufen. Thorn brauchte weniger als fünf Minuten, die Läufer fast zwölf.
Der General hatte ein großes Problem. Ceska würde vermutlich in beiden Tälern gleichzeitig zuschlagen, und wenn eins überrannt wurde, war das andere dem Untergang geweiht. Also mußte irgendwo eine dritte Truppe bereitstehen, zwischen den beiden anderen, die sofort losschlagen konnte, wenn irgendwo eine Bresche entstand. Doch Mauern konnten in wenigen Sekunden nachgeben, und Signalfeuer waren nutzlos, da sich zwischen den beiden Taleingängen die Skoda-Berge türmten.
Leppoe löste das Problem jedoch durch den Vorschlag, ein Verbindungs- und Nachrichtensystem in Form eines Dreieckes einzurichten. Am Tage konnte man Nachrichten mit Hilfe von Spiegeln oder Laternen ins Tal schicken, wo eine Gruppe von Männern ständig auf der Lauer lag. Sobald die Nachricht empfangen war, würde die Gruppe sie auf die gleiche Weise ins zweite Tal weiterleiten. Zwischen den Tälern sollte ein Trupp von fünfhundert Mann lagern, und sobald sie ein Signal erhielten, würden sie wie der Teufel losreiten. Das Ganze wurde viele Male geübt, sowohl am Tag als auch bei Dunkelheit, bis Ananais überzeugt war, daß es hundertprozentig klappte. Innerhalb von vier Minuten konnte ein Hilferuf ausgeschickt werden und der Hilfstrupp eintreffen. Ananais wären zwei Minuten lieber gewesen, aber er war auch so zufrieden.
Valtaya war mit Rayvan in die Berge gezogen und hatte die Aufsicht über die medizinischen Vorräte übernommen. Ananais vermißte sie schrecklich; er hatte eine seltsame dunkle Vorahnung, die er nicht abschütteln konnte. Er hatte nie viele Gedanken an den Tod verschwendet; jetzt aber plagten sie ihn ständig. Als Valtaya sich in der vorigen Nacht verabschiedet hatte, war ihm elender zumute gewesen als je zuvor. Er hatte sie in die Arme genommen und darum gekämpft, das auszusprechen, was er empfand. Er wollte sie verzweifelt wissen lassen, wie tief seine Liebe zu ihr war.
»Ich . ich werde dich vermissen.«
»Es wird nicht lange dauern«, sagte sie, küßte seine vernarbte Wange und wandte die Augen von seinem zerstörten Mund ab.
»Und … paß … auf dich auf.«
»Und du auf dich.«
Als er ihr aufs Pferd half, galoppierten einige Männer auf die Hütte zu, und er suchte hastig nach seiner Maske. Und dann war sie fort. Er sah ihr nach, bis die Dunkelheit sie verschluckte.
»Ich liebe dich«, sagte er schließlich, jedoch zu spät. Er riß sich die Maske vom Gesicht und schrie mit voller Kraft:
»Ich liebe dich!« Die Worte hallten in den Bergen wider, während er auf die Knie sank und mit den Fäusten auf die Erde hämmerte. »Verdammt, verdammt, verdammt! Ich liebe dich!«
Tenaka, Subodai und Renya hatten eine Stunde Vorsprung vor den Stammeskriegern, der jedoch trotz der kräftigen Drenai-Pferde allmählich schwand, da Tenakas Pferd nun die doppelte Last zu tragen hatte. Auf einem staubigen Hügel beschattete Tenaka die Augen mit der Hand und versuchte, ihre Verfolger zu zählen, doch das war nicht so einfach, da sie in einer wirbelnden Staubwolke näherkamen.
»Ich würde sagen, ein Dutzend, nicht mehr«, sagte Tenaka schließlich.
Subodai zuckte die Achseln. »Könnten auch viel weniger sein«, meinte er.
Tenaka schwang sich wieder in den Sattel und hielt Ausschau nach einem möglichen Platz für einen Hinterhalt. Er führte
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