Der Schattenprinz
immer stark. Männer folgen dir. Das Volk der Drenai ist von dir abhängig. Vielleicht ist dein Gesicht nicht mehr vorhanden, aber du weißt, wer du bist.
Ananais, der Goldene.
Schwarzmaske. Ceskas Fluch.
Ein Signalhorn ertönte. Ananais stemmte sich hoch und ging zurück auf die Brüstung.
Renya lag schon die dritte Nacht wach, wütend und verunsichert. Die Wände ihres kleinen Zeltes schienen sie niederzudrücken; die Hitze lastete schwer auf allem. Seit zwei Tagen bereiteten die Nadir sich nun auf den Krieg vor, sammelten Proviant und wählten sorgfältig ihre Ponys aus. Tena-ka hatte zwei Kriegsherren bestimmt, die ihn begleiten sollten: Ingis und Murapi. Renya hatte dies von Subodai erfahren, denn seit der Nacht vor der Schamanen-Queste hatten Tenaka und sie kein Wort miteinander gewechselt.
Sie setzte sich auf und warf die Schaffelldecke zu Boden. Sie war müde, aber so angespannt wie ein Bogen. Sie wußte warum, aber das Wissen nutzte ihr nichts. Sie befand sich in einer Zwickmühle, gefangen zwischen ihrer Liebe zu dem Mann und dem Haß auf seine Mission. Und sie war verloren, denn ihre Gedanken kreisten unablässig um ihn.
Renyas Kindheit hatte vor allem aus Zurückweisung bestanden, denn sie war mißgestaltet und konnte bei den Spielen der anderen Kinder nicht mithalten. Sie spotteten über ihr lahmes Bein und ihren krummen Rücken, und so zog sie sich in ihr Zimmer zurück . und in ihre Gedanken. Aulin hatte Mitleid mit ihr gehabt und ihr mit Hilfe der Schreckensmaschinen das Geschenk der Schönheit verliehen. Aber auch wenn sie sich äußerlich verändert hatte - im Innern war Renya dieselbe geblieben - mit Angst vor Zuneigung, Angst vor Liebe, weil dies bedeutete, sein Herz zu öffnen und Mauern niederzureißen. Doch die Liebe hatte sie getroffen wie das Messer eines Angreifers, und sie fühlte sich hereingelegt, betrogen. Tenaka war ein Held gewesen, ein Mann, dem sie vertrauen konnte. Und so hatte sie das Messer willkommen geheißen. Jetzt aber mußte sie feststellen, daß es in Gift getaucht war.
Sie konnte nicht mit ihm leben. Sie konnte nicht ohne ihn leben.
Das stickige Zelt bedrückte sie, und so ging sie hinaus in die Nacht. Das Lager dehnte sich über fast einen Kilometer aus. Tenakas Zelt bildete das Zentrum. Subodai stöhnte und drehte sich um, als sie vorbeiging. »Schlaf, Weib!« murmelte er.
»Ich kann nicht.«
Er fluchte, setzte sich auf und kratzte sich den Kopf. »Was ist los mit dir?«
»Das geht dich nichts an!«
»Seine Frauen stören dich«, entschied Subodai. »Das ist für eine Drenai-Frau ganz normal. Gierig.«
»Das hat nichts mit seinen Frauen zu tun«, fauchte Renya.
»Behauptest du! Wie kommt es dann, daß er dich aus seinem Bett geworfen hat, he?«
»Ich habe mich selbst hinausgeworfen.«
»Hm. Du bist eine attraktive Frau, daß muß ich schon sagen.«
»Schläfst du deshalb vor meinem Zelt? Wartest du darauf, daß ich dich hineinhole?«
»Psst! Das darfst du nicht mal flüstern«, sagte Subodai ein wenig lauter. »Ein Mann könnte deswegen seinen Kopf verlieren - oder Schlimmeres.
Ich will dich nicht, Frau. Du bist merkwürdig, richtig verrückt. Ich habe dich wie ein Tier heulen gehört und gesehen, wie du diese dummen Packratten angesprungen hast. Ich möchte dich nicht in meinem Bett - vor lauter Angst könnte ich nicht schlafen.«
»Warum bist du dann hier?«
»Der Khan hat es befohlen.«
»Dann bist du jetzt sein Hund? Sitz! Platz! Schlaf vor dem Zelt.«
»Ja, ich bin sein Hund. Ich bin stolz darauf, sein Hund zu sein. Besser der Hund eines Königs als ein König unter Schakalen.«
»Warum?« fragte Renya.
»Was meinst du mit warum? Ist das denn nicht klar? Was ist das Leben anderes als Verrat? Wir fangen jung an, voller Hoffnung. Die Sonne tut gut, die Welt wartet nur auf uns. Aber jedes Jahr zeigt dir, wie klein du bist, wie unbedeutend vor der Macht der Jahreszeiten. Dann alterst du. Deine Kraft läßt nach, und die Welt lacht über dich im Gespött der Jüngeren. Und du stirbst. Allein. Unerfüllt. Aber manchmal … manchmal gibt es einen Mann, der nicht unbedeutend ist. Er kann die Welt verändern, den Jahreszeiten ihre Macht rauben. Er ist die Sonne.«
»Und du glaubst, Tenaka Khan ist so ein Mann?«
»Glauben?« fragte Subodai. »Was weiß ich schon? Vor ein paar Tagen war er noch Schwerttänzer. Allein. Dann hat er mich zum Gefährten erwählt. Einen Speer. Dann Gitasi. Dann Ingis. Dann das Volk. Verstehst du? Es gibt nichts, was er
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