Der Schattenprinz
die Brustplatte an. Sie war ihm ein wenig zu groß. Er zog sie wieder aus, stach mit seinem Dolch ein Loch in die Riemen und schnallte sie um. Besser.
Der Helm paßte gut, doch Steiger wäre wohler gewesen, wenn der Mann nicht ausgerechnet ein Templer gewesen wäre. Es hieß, daß sie in Gedanken miteinander in Verbindung treten konnten. Er hoffte, daß in Delnoch keine Templer waren.
»Wann gehst du hinein?« fragte Magir.
»Heute. Nach Mitternacht.«
»Warum so spät?«
»Mit etwas Glück schläft der Kommandant. Er wird verschlafen sein und weniger geneigt, mich auszufragen.«
»Das ist ein großes Risiko, Graf.«
»Erinner mich nicht daran.«
»Ich wünschte, wir hätten mit zehntausend Krummsäbeln auf die Festung losgehen können.«
»Ja«, stimmte Steiger ihm unbehaglich zu. »Das wäre schön gewesen. Trotzdem, was soll’s.«
»Du bist ein seltsamer Mann, Graf. Immer ein Scherz auf den Lippen.«
»Das Leben ist traurig genug, Magir. Das Lachen sollte wie ein Schatz gehütet werden.«
»Wie die Freundschaft«, sagte der Sathuli.
»Genau.«
»War es schlimm, tot zu sein?«
»Nicht so schlimm, wie ohne Hoffnung am Leben zu sein.«
Magir nickte ernst. »Ich hoffe, dieses Abenteuer ist nicht umsonst.«
»Warum sollte es?«
»Ich traue den Nadir nicht.«
»Du bist ein mißtrauischer Mann, Magir. Ich vertraue Tenaka Khan. Als ich noch ein Kind war, hat er mir das Leben gerettet.«
»Dann ist er also auch wiedergeboren?«
»Nein.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich bin nicht erwachsen aus dem Grabe gestiegen, Magir. Ich bin groß geworden wie jedes andere Kind.«
»Es gibt so vieles, was ich nicht verstehe. Aber lassen wir das für ein andermal. Jetzt müssen wir uns vorbereiten.«
Steiger nickte, verwundert über seine eigene Dummheit. Wie leicht konnte ein Mann sich verraten!
Magir beobachtete, wie Steiger die schwarze Rüstung anlegte, und er spürte das Unbehagen des Grafen. In diesem Augenblick erkannte er, daß nicht alles so war, wie er geglaubt hatte. Und doch hatte der Geist Joacims ihm vertraut.
Das war genug.
Steiger zerrte den Sattelgurt an dem schwarzen Wallach fest und schwang sich auf den Rücken des Tieres; den Helm hängte er über den Knauf.
»Leb wohl, mein Freund«, sagte er.
»Möge der Gott des Schicksals mit dir sein«, erwiderte Magir.
Steiger ritt durch die Bäume davon. Nach mehr als einer Stunde tauchten endlich die Tore von Dros Delnoch vor ihm auf; die große Mauer spannte sich quer über den Paß. Es war so lange her, daß er zu Hause gewesen war.
Zwei Wächter salutierten, als er unter dem Fallgittertor hindurchritt. Dann wandte er sich nach links, der Inneren Festung zu. Ein Soldat kam herbei und nahm die Zügel seines Pferdes. Steiger marschierte los, und ein zweiter Wächter kam zu ihm.
»Bring mich zum Gan«, befahl Steiger.
»Gan Paldin schläft, Herr.«
»Dann weck ihn!« fauchte Steiger mit kalter, unpersönlicher Stimme.
»Jawohl, Herr. Folgt mir bitte, Herr«, sagte der Mann.
Er führte Steiger durch den engen, fackelerhellten Gang, durch die Halle der Helden, die von Statuen gesäumt war, und die Marmortreppe hinauf zu Paldins Gemächern. Einst hatten sie Steigers Großvater gehört. Der Wächter klopfte ein paarmal an die Tür, ehe eine verschlafene Stimme antwortete. Dann schwang die Tür auf. Gan Paldin hatte sich ein wollenes Gewand übergeworfen. Er war klein, mittleren Alters, und hatte große, vorquellende Augen. Steiger konnte ihn auf Anhieb nicht leiden.
»Hätte das nicht Zeit gehabt?« fragte Paldin gereizt.
Steiger reichte ihm die Schriftrolle, und Paldin riß sie auf und las sie rasch.
»Nun«, sagte er, »ist das alles? Oder hast du noch eine persönliche Botschaft?«
»Ich habe noch eine Botschaft, Herr. Vom Kaiser persönlich. Er erwartet Hilfe aus dem Norden, und du sollst den Nadir die Tür öffnen. Verstanden?«
»Seltsam«, murmelte Paldin. »Ich soll die Nadir passieren lassen, sagst du?«
»Richtig.«
Paldin fuhr herum und griff einen Dolch von seinem Nachttisch. Die Klinge blitzte auf und saß an Steigers Kehle.
»Würdest du mir dann vielleicht erklären, was diese Nachricht zu bedeuten hat?« fragte er und hielt die Schriftrolle so, daß Steiger sie lesen konnte.
Halte Ausschau nach einer Nadirarmee. Haltet um jeden Preis stand. Ceska.
»Ich habe nicht die Absicht, hier noch länger mit einem Messer an der Kehle zu stehen«, sagte Steiger steinern. »Ich habe nicht den Wunsch, einen General zu töten.
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