Der Schatz im Silbersee
erfahren, was für Waffen ich besitze?«
»Du sollst ein Gewehr besitzen, aus welchem man immerfort schießen kann, ohne ein einziges Mal laden zu müssen; aber das ist eine Unmöglichkeit, ich glaube es nicht.«
»Soll ich es dir zeigen?«
»Ja, zeige es!« rief der Häuptling, ganz elektrisiert von dem Gedanken, dieses geheimnisvolle Gewehr, an welches sich so viele Sagen knüpften, sehen zu können.
»So werde ich es mir geben lassen und es dir bringen.«
Er stand auf und schritt zum Felsen, um den Stutzen zu holen.
Wie die Verhältnisse lagen, mußte er vor allen Dingen danach trachten, die Indianer trotz ihrer Überzahl einzuschüchtern und bestürzt zu machen, und dazu war dieses Gewehr am besten geeignet. Er wußte, welche und wie viele Sagen über dasselbe unter den Roten kursierten. Sie hielten es für eine Zauberflinte, welche der »große Manitou« dem Jäger gegeben habe, um denselben unüberwindlich zu machen. Jemmy langte sie ihm von dem Felsen herab; er kehrte zu dem Häuptling zurück, hielt sie ihm hin und sagte: »Hier ist das Gewehr; nimm es, und siehe es dir an!«
Schon streckte der Rote die Hand aus; aber er zog sie wieder zurück und fragte: »Darf denn auch ein andrer als du es angreifen? Wenn es wirklich das Zaubergewehr ist, so muß es jedem, dem es nicht gehört, Gefahr bringen, sobald er es berührt.«
Diese vorteilhafte Ansicht mußte Old Shatterhand ausbeuten.
Mußte er sich mit seinen Begleitern den Roten ergeben, so war er mit ihnen jedenfalls gezwungen, die Waffen alle auszuliefern.
In diesem Falle kam es sehr darauf an, wenigstens dieses eine Gewehr behalten zu können. Eine direkte Lüge wollte Old Shatterhand zwar nicht sagen, aber er antwortete: »Ich darf die Geheimnisse desselben nicht mitteilen. Nimm, und versuche es selbst!«
Er hatte den Stutzen in der rechten Hand und legte bei diesen Worten den Daumen an die Patronenkugel, um durch eine kleine, ganz unbemerkbare Bewegung dieselbe so
vorzudrehen, daß der Schuß bei der geringsten Berührung derselben losgehen mußte. Sein scharfes Auge bemerkte eine Gruppe von mehreren Roten, welche aus Neugierde ihre geschützten Stellungen verlassen hatten und nun nahe dem Rande der Lichtung bei einander standen. Diese Gruppe bildete ein so gutes Ziel, daß eine auch nicht ganz genau auf sie gerichtete Kugel einen von ihnen treffen mußte. Jetzt kam es darauf an, ob der Häuptling das Gewehr ergreifen werde oder nicht. Er war wohl weniger abergläubisch als die andern Roten, aber er traute der Sache doch nicht ganz. »Soll ich, oder soll ich nicht?« Diese beiden Fragen waren in seinen begierig auf das Gewehr gerichteten Augen zu lesen. Old Shatterhand nahm es jetzt mit beiden Händen, hielt es ihm näher und zwar so, daß der Lauf genau nach der erwähnten Indianergruppe zeigte. Die Neugierde des Häuptlings war doch größer als seine Besorgnis; er griff zu. Old Shatterhand spielte ihm das Gewehr so in die Hand, daß dieselbe die Kugel berührte. Sofort krachte der Schuß - drüben, wo die Indianer standen, ertönte ein Schrei und der »große Wolf« ließ den Stutzen erschrocken fallen.
Einer der Roten rief herüber, daß er verwundet worden sei.
»Bin ich's gewesen, der ihn verwundet hat?« fragte der Häuptling betroffen.
»Wer sonst?« antwortete Old Shatterhand. »Das ist nur erst zur Warnung geschehen. Bei der nächsten Berührung dieses Gewehres wird es aber Ernst werden. Ich erlaube dir, es wieder anzufassen, aber ich warne dich; die Kugel würde nun - - -«
»Nein, nein!« rief der Rote, indem er mit beiden Händen abwehrte. »Es ist wirklich ein Zaubergewehr und nur für dich bestimmt. Wenn ein andrer es nimmt, so geht es los und er trifft seine eigenen Freunde, vielleicht gar sich selbst. Ich mag es nicht; ich mag es nicht!«
»Das ist sehr klug von dir,« meinte Old Shatterhand in ernstem Tone. »Sei froh, daß es jetzt nur einmal losgegangen ist. Du hast nur eine kleine Lehre erhalten; das nächste Mal würde es anders kommen. Ich werde dir zeigen, wie oft es losgeht. Schau nach dem Ahornbäumchen dort am Bache. Es ist nur zwei Finger stark und soll zehn Löcher erhalten, welche genau die Breite deines Daumens voneinander entfernt sind.«
Er hob den Stutzen auf, legte ihn an, zielte auf den Ahorn und drückte ein - drei - sieben - zehnmal ab. Dann sagte er: »Gehe hin, und siehe es! Ich könnte noch viele, viele Male schießen, aber es ist ja genug, um dir zu zeigen, daß ich in einer Minute fünfzig von
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