Der Schatz im Silbersee
er thut; wir aber kennen sie nicht und würden ihn vielleicht in der Ausführung seines Planes stören. Bleibt hier, ich werde so weit wie möglich vordringen, um zu erfahren, was geschieht.«
Er behielt das Fernrohr in der Hand und verschwand zwischen den Bäumen. Es verging eine lange halbe Stunde; da kehrte er zurück und meldete: »Es gibt mitten im Lager einen Zweikampf.
Die Utahs stehen so eng beisammen, daß ich die Kämpfenden nicht sehen konnte; aber den Hobble-Frank sah ich. Er zog die Pferde heimlich und vorsichtig hinter das Zelt und gab ihnen die Decken. Die Weißen wollen fort.«
»Und heimlich? Also fliehen?« fragte Old Firehand. »So postieren wir uns hier an den Weg und nehmen sie auf oder gehen ihnen gar entgegen.«
»Keins von beiden,« entgegnete der Apache kopfschüttelnd.
»Meine Ansichten scheinen heute bei meinem roten Bruder stets auf Widerspruch zu stoßen!«
»Old Firehand mag nicht zürnen, sondern nachdenken. Was werden die Roten thun, wenn die Weißen fliehen?«
»Sie werden dieselben verfolgen.«
»Wenn man vier oder sechs Männer verfolgt, wie viele Krieger braucht man dazu?«
»Nun, zwanzig bis dreißig.«
»Gut! Diese werden wir sehr leicht besiegen. Wenn wir uns aber den Utahs zeigen, wird der ganze Stamm hinter uns her sein, und dann muß viel Blut fließen.«
»Du hast recht, Winnetou. Aber wir können die Roten doch nicht blind machen. Sie werden unsre Zahl sehr bald aus der Fährte erkennen.«
»Sie werden die Fährte betrachten, welche vor ihnen ist, aber nicht diejenige, welche sich hinter ihnen befindet.«
»Ach, du meinst, daß wir ihnen folgen?«
»Ja.«
»Ohne daß wir uns Old Shatterhand zeigen?«
»Wir werden mit ihm sprechen, aber nur du und ich. Horch!
Was ist das?«
Vom Lager her erscholl ein fürchterliches Geheul, und gleich darauf sah man vier Reiter im Galopp aus demselben kommen.
Es waren die Weißen. Sie schlugen die Richtung nach dem obern Ende des Sees ein, hatten also die Absicht, den Bach zu erreichen und an demselben aufwärts zu reiten.
»Da kommen sie,« sagte Winnetou. »Old Firehand mag mir folgen. Meine andern weißen Brüder aber müssen mit den Pferden schnell tiefer in den Wald hinein und dort warten, bis wir zurückkehren. Sie mögen unsre Pferde mitnehmen.«
Er nahm Old Firehand bei der Hand und zog ihn mit sich fort, immer am hohen Ufer des Baches entlang, unter den Bäumen hin, bis an eine Stelle, von welcher aus man das Lager sehen konnte, ohne von dort aus bemerkt zu werden. Da blieben sie stehen.
Old Shatterhand kam schnell näher. Er hielt sich mit seinen Begleitern nahe am Wasser, ritt also unten, während der Apache und Old Firehand oben standen. Als er die Stelle erreichte, erklang es von oben herab: »Uff! Meine weißen Brüder mögen hier halten bleiben.«
Die vier parierten ihre Pferde und blickten nach oben.
»Winnetou, Winnetou!« riefen sie zugleich.
»Ja, es ist Winnetou, der Häuptling der Apachen,« antwortete er. »Und hier steht noch einer, welcher ein Freund meiner weißen Brüder ist.«
Er zog den gewaltigen Jäger hinter einem Baume hervor.
»Old Firehand!« rief Old Shatterhand. »Du hier, du! Ich muß hinauf, dich zu begrüßen! Oder komm herab!«
Trotz der Gefahr, in welcher er sich befand, machte er Miene, vom Pferde zu springen.
»Halt, bleib!« wehrte ihm Old Firehand ab. »Auch ich darf nicht zu dir.«
»Warum?«
»Die Utahs, welche dir folgen werden, dürfen von unsrer Gegenwart nichts ahnen.«
»Ach! Seid ihr allein?«
»Nein. Wir sind wohl vierzig Jäger, Rafters und sonstige Westmänner. Du wirst gute Bekannte bei uns finden. Jetzt ist es nicht Zeit zum Erzählen. Wo wolltest du hin?«
»Nach dem Silbersee.«
»Wir auch. Reitet jetzt weiter. Sobald eure Verfolger vorüber sind, kommen wir auch und nehmen sie in die Mitte.«
»Recht so!« rief Old Shatterhand. »Welch eine Freude und welch ein Glück, euch hier zu treffen! Aber wenn wir auch keine langen Reden halten können, so müßt ihr doch in Kürze erfahren, was geschehen ist. Könnt ihr von da oben aus das Lager sehen?«
»Ja.«
»So paßt auf, damit ich nicht überrumpelt werde. Ich will euch das Nötigste erzählen.«
Die Freude dieser Männer über das Zusammentreffen war gewiß groß; aber die Verhältnisse verboten es, ihr Worte zu verleihen und dabei Zeit zu verschwenden. Man machte sich gegenseitig in kurzer Weise die nötigen Mitteilungen, welche der geübte Scharfsinn dieser Leute sehr leicht zu ergänzen
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