Der Schatz von Blackhope Hall
Mr. Ingrams Anwalt", stellte Charles gelassen fest. "Also muss ich auf seiner Seite sein."
"Dafür wirst du honoriert, und sicher nicht schlecht."
"Du nimmst wahrlich kein Blatt vor den Mund, Annis. Wenn du ebenso freimütig mit den Verehrern deiner Schützlinge redest, wundert es mich, dass dir bei deiner Tätigkeit Erfolg beschieden ist."
"Übersieh bitte nicht, dass diese Herren eine der jungen Damen, die ich unter meine Fittiche genommen habe, heiraten wollen, und nicht mich!" entgegnete Annis ein wenig verstimmt. "Und ich habe ohnehin nicht vor, mich ein zweites Mal zu vermählen."
"Dein Standpunkt ist mir unbegreiflich", entgegnete Charles. "Wärst du verheiratet, müsstest du nicht für deinen Lebensunterhalt aufkommen."
"Erstens hasse ich Müßiggang, und zweitens ziehe ich meine Unabhängigkeit vor. In meiner Ehe habe ich mich arg eingeengt gefühlt." Annis blickte auf die Straße und dachte daran, dass die Unstimmigkeiten zwischen John und ihr kein Geheimnis gewesen waren. Obwohl seit dem Tod des sehr viel älteren Gatten inzwischen acht Jahre vergangen waren, empfand sie noch immer Kummer darüber, dass sie keine glückliche Ehe mit ihm geführt hatte.
"Entschuldige, Annis", murmelte Charles kleinlaut. "Ich wollte keine unliebsamen Erinnerungen in dir wecken."
"Schon gut", erwiderte sie gedehnt. "Du weißt, John hatte sehr fest umrissene Vorstellungen davon, wie Frauen zu sein haben und wo ihre Grenzen sind. Gottlob bin ich jetzt nicht mehr gezwungen, seine Ansichten zu respektieren. Also kann ich es mir erlauben, meiner Meinung unumwunden Ausdruck zu verleihen."
"Bestimmt gibt es genügend Ehemänner, die nichts dagegen haben, dass ihre Frau Zeitung liest und eine eigene Meinung hat."
"So ein Mann ist mir noch nie begegnet, wahrscheinlich deshalb, weil ich nicht Ausschau nach ihm halte."
In diesem Moment bog die Kalesche auf die Auffahrt eines schmucken Anwesens ab und hielt auf einem von einem langen Gebäude begrenzten Stallplatz. "Hinter dem Haus befindet sich ein mit einer Mauer umgebener Garten", erklärte Charles. "Personal habe ich bereits für dich eingestellt, abgesehen von der Wirtschafterin."
"Danke, Charles. Mrs. Hardcastle wird bald eintreffen und die Leitung des Haushaltes übernehmen."
"Das Haus ist sehr gut eingerichtet und hat die für dich notwendigen Räumlichkeiten. Ich bin überzeugt, es wird dir gefallen", fügte Charles hinzu, stieg aus und half der Cousine aus dem Wagen. "Geschäfte für den täglichen Bedarf sind in der Nähe und leicht zu erreichen. Ansonsten ist das hier eine recht beschauliche Gegend."
"Gut, denn ich möchte nicht, dass meine neuen Schützlinge von Betrunkenen oder aufdringlichen Nachbarn belästigt werden", erwiderte Annis erleichtert, vernahm im gleichen Augenblick lautes, grelles Gelächter und drehte sich befremdet um. Sie sah noch einen grüngelb lackierten Phaeton von der Straße abbiegen und auf das angrenzende Grundstück fahren, zog die Augenbrauen hoch und fragte, irritiert den Vetter ansehend: "Sind das meine Nachbarn?"
"Hm, ja", antwortete er betreten.
"Was würde wohl Ihre Mutter sagen, Ashy, wüsste sie, dass Sie mich hierher mitgenommen haben?" fragte Margot und setzte sich auf die Armlehne des Fauteuils, in dem Lord Ashwick Platz genommen hatte.
Er hob den Kopf, blickte flüchtig auf ihre straffen Brüste und sagte, während er die Augen wieder auf die Lektüre richtete: "Bitte, setzen Sie sich woanders hin, Miss Margot. Sie sind mir im Licht. Außerdem wird Tranter gleich den Tee servieren."
Schmollend stand Margot auf, ging zur Chaiselongue und ließ sich in aufreizender Haltung darauf nieder. "Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Ashy", sagte sie pikiert.
Seufzend ließ er die Zeitung sinken. Ihm war klar, dass er keine Ruhe haben würde, bis er Miss Mardyn ins Hotel gebracht hatte. Dummerweise hatte ein Pferd ein Hufeisen verloren, so dass er genötigt gewesen war, in der Umspannstelle Station zu machen. Danach hatte Miss Mardyn darauf bestanden, von ihm zum Tee eingeladen zu werden. "Ich bin überzeugt, dass meine Mutter entzückt sein wird, Sie hier anzutreffen, Margot", erwiderte er ironisch.
"Fein!" äußerte sie zufrieden. "Müssen wir Tee trinken, oder können wir die Zeit auch anders nutzen? Sebastian muss ja nichts davon erfahren."
"Ich denke nicht daran, ihn zu hintergehen", erwiderte Adam abweisend. "Das wäre schäbig von mir."
"Männer und ihr Ehrgefühl!" äußerte Margot abfällig, stand auf und
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