Der Schoepfer
kalt und schwer. Als sie an sich herunterschaute, sah sie, dass jemand sie mit einer rauen, karierten Wolldecke, an die sie sich nicht erinnern konnte, zugedeckt hatte. Sie trug noch ihre Schuhe, und ihr Mantel lag zerknittert auf dem Boden.
Natürlich. Sie war nicht zu Hause, sondern bei diesem Mann, der ihr geholfen hatte, den Reifen zu wechseln. Ihre Zunge war ganz trocken. Margrét. Ína. Ihr Herzschlag, den sie vom Schritt
bis hinauf in den Hals spürte, war nahezu episch und erzählte von allem, was ihren Töchtern alleine zu Hause über Nacht hätte zustoßen können.
Als sie die Decke wegschob, wurde ihr sofort kalt, aber sie wagte nicht, sich nach ihrem Mantel zu bücken, sondern stand vorsichtig auf, spürte, wie sich von der Leistengegend ein Prickeln ausbreitete, als das Blut wieder ungehindert in ihre Beine strömte, und machte sich dann auf die Suche nach dem Badezimmer. Durch die Küche, wo keine Spuren der Mahlzeit des gestrigen Abends mehr zu sehen waren und die Morgensonne den Raum und ihre Augen ausfüllte, so dass ihr zum zweiten Mal, seit sie hier war, die Tränen kamen. In den Ecken lag Staub, aber ansonsten war die Küche sauber – viel sauberer, als ihre eigene Küche es je gewesen war. Außer vielleicht, als sie vor sieben Jahren mit den Mädchen bei deren Vater ausgezogen war und versucht hatte, das Scheitern zu kaschieren, indem sie alles tipptopp hielt.
An den Wänden waren Magnetstreifen für Messer befestigt, und an schmiedeeisernen Haken hingen Küchenutensilien: Töpfe, Kochlöffel, Schöpfkellen, Schneebesen und Fleischgabeln. Die Einrichtung war aus Eiche, alt und schlicht. Die Bänke niedrig, die Schubladen flach. Die Türen der Oberschränke waren entfernt worden, so dass das Geschirr ins Auge stach, weiß und aufeinander abgestimmt wie in einem Gästehaus.
Auf dem Küchentisch lag eine gelbe Tischdecke und darauf Lóas Handy und ihre Schlüssel – die Uhr auf dem Handy zeigte 6:47. Vielleicht, hoffentlich hatten die Mädchen ihre Abwesenheit noch nicht bemerkt. Sie machte sich vor allem Sorgen um Margrét, die oft lange brauchte, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, wenn sie beim Aufwachen alleine war. Sie war
fünfzehn, fast sechzehn, musste aber im Grunde den ganzen Tag betreut werden.
Von der Küche ging ein Flur mit drei geschlossenen Türen ab. An der Decke hingen zwei große Neonlampen, aber es war kein Schalter zu sehen, und Lóa fand auch keinen, obwohl sie an der Wand bei der Tür herumtastete. Der geflieste Boden führte in die Dunkelheit, und ihre Absätze klapperten, obwohl sie sich bemühte, vorsichtig aufzutreten.
Lóa schnüffelte nicht gern in fremden Häusern herum, aber ihr blieb nichts anderes übrig, denn der Druck auf den Unterleib zwang sie dazu. Wenn der Hausherr jetzt aufwachte und sie überraschte, würde er bestimmt verstehen, dass sie unmöglich noch länger hatte warten können, die Rotweinflasche von gestern Abend loszuwerden.
Ganz langsam öffnete sie die erste Tür und erblickte ein kleines Zimmer, das wie die Küche nach Süden lag. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an das Licht, und sie sah den Mann, der in einem schmalen Bett an der Wand unter dem Fenster lag. Sie erschrak so sehr, dass sie hastig auf Zehenspitzen zurückwich. Aber er schlief so tief und fest, dass man sich kaum vorstellen konnte, er werde jemals wieder aufwachen, und Lóa wagte es, einen Moment innezuhalten. Hauptsächlich, um tief Luft zu holen, damit sie nicht gegen etwas stieß oder versehentlich die Tür zuknallte.
Vor dem Fenster hingen keine Gardinen, die Sonne strahlte am morgenblauen Himmel, und unter der Sonne wartete ihr Auto, das sich nun nicht mehr platt zur Seite neigte, dank des Mannes, der mit der Bettdecke im Arm schlief. Er trug eine schwarze, altmodische Unterhose – keine Boxershorts und kein Label auf dem Gummizug –, und Lóa erinnerte sich daran, dass er nicht namenlos war. Das waren halbnackte Männer in den
seltensten Fällen, und dieser, das schwarze Hinterteil auf der harten Bettkante ruhend und das Gesicht von einem Zipfel der Bettdecke verdeckt, hieß Sveinn.
Seine Kleidung hatte er sauber gefaltet und über eine Stuhllehne gelegt, und Lóa bemerkte auch, dass neben dem Kleiderschrank ein großer Bastkorb für schmutzige Wäsche stand und daneben ein kleinerer Korb mit Schuhcreme, Bürsten und Lappen. Das war hübsch und berührte sie, aber es ging sie nichts an, und sie durfte sich nicht davon aufhalten lassen. Leise zog sie die Tür
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