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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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das Licht noch schneidend grell und blendete ihn ein paar Sekunden lang, sodass er sich nicht sicher war, ob ein Auto in der Einfahrt stand oder ob es sich um eine optische Täuschung handelte – ein grüner Fleck, der vor seinen Augen tanzte, während er sich an die Helligkeit gewöhnte. Er würde Butter und
Salz auf die Kartoffeln geben. Der Gedanke an Butter fuhr ihm in den Magen wie ein kräftiger Stoß mit dem Ellbogen. Tatsächlich, da stand ein Auto, ein knallgrüner Renault, und eine Frau mit blonden Kringellöckchen stieg aus ( Honey-Golden Susie , dachte er reflexhaft), aber das war wohl das einzig Puppenhafte an ihr.
    Was wollte sie hier?
    Was auch immer ihr Anliegen war, sie würde warten müssen, bis er gegessen hatte. Das Hackfleisch in die Pfanne, die Pfanne auf die Herdplatte. Er probierte das rohe Fleisch, was seinen Hunger noch verstärkte. Vollkommen konzentriert auf dieses Hungergefühl achtete er kaum auf die Frau, die sich über den geöffneten Kofferraum beugte. Vielleicht wollte sie etwas verkaufen. Oder mit ihm über Jesus sprechen. Er würde ihr die Tür sofort vor der Nase zuschlagen.
    Wagenheber. Felgenschlüssel. Erst jetzt bemerkte er den platten Reifen.
    Die Frau schleppte den Ersatzreifen aus dem Kofferraum, rollte ihn vors Auto, lehnte ihn gegen den Kühlergrill und machte einen albernen Versuch, den Schmutz von ihren Händen zu entfernen, indem sie sie schüttelte und aneinanderrieb. »Tüchtig«, murmelte er mit von den Zwiebeln tränenden Augen, als er ihr resolutes Auftreten sah. Sie schien zu wissen, was sie tat, obwohl sie einen schneeweißen Wollmantel und elegante Schuhe zu ihrer Jeans trug. Die Radkappe mit einem Handgriff abnehmen, so, ja, den Felgenschlüssel ansetzen, die erste Schraubenmutter lösen.
    Als er selbst zum letzten Mal einen Reifen wechseln musste, hatte er zuerst den Wagen aufgebockt, ihn dann aber wieder heruntergelassen, um die Schrauben lösen zu können. Er hatte sich deswegen nicht besonders geschämt, sich weder in seiner
Männlichkeit noch in seinen handwerklichen Fähigkeiten verletzt gefühlt; er war einfach zerstreut gewesen.
    Die Frau drehte den Felgenschlüssel, aber die Schraube bewegte sich nicht. Dann trat sie auf den Schlüssel wie auf eine Leitersprosse, stützte sich mit beiden Händen am Autodach ab und wippte energisch auf und ab, doch nichts geschah. Sie versuchte es mit der nächsthöheren Schraube, aber die löste sich auch nicht, woraufhin sie den Felgenschlüssel auf den Boden schleuderte, sich mit dem Ellbogen ans Autodach lehnte und das Gesicht in den Händen verbarg.
    Er hatte das Gefühl, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Zögernd schaltete er die Herdplatte aus und ging zur Tür, ein bisschen zu schnell, sodass ihm schwindelig wurde. Auf dem Weg nach draußen nahm er sich vor, freundlich zu sein.
    »Klemmt’s?«, fragte er, und obwohl seine Stimme barscher klang als beabsichtigt, lächelte sie zaghaft.
    »Ja«, seufzte sie. Ihrem Seufzen und ihren hängenden Schultern nach zu urteilen, war sie genauso müde wie er. Sie hatte Krähenfüße an den Augenwinkeln, eine beharrliche Sorgenfalte zwischen den Augen und einen empfindsamen Mund mit einem Grübchen auf der einen Seite. »Ich dachte, ich hätte Glück im Unglück, direkt vor einer Autowerkstatt liegen zu bleiben, aber dann habe ich gesehen, dass hier gar keine Werkstatt mehr ist«, sagte sie und schaute über die gepflegte Rasenfläche, auf der es keinen einzigen vertrockneten Halm gab und das frische Gras noch grüner war als auf den umliegenden Wiesen.
    »Die ist vor zehn Jahren in ein größeres Haus hinten an der Straße umgezogen«, sagte er, bückte sich nach dem Felgenschlüssel, setzte ihn an der Schraube an und stützte sich mit vollem Gewicht darauf, aber nichts geschah. Er lachte ungläubig. »Wer hat den denn aufgezogen?«, murmelte er.

    »Mein Vater«, antwortete sie, und während sich ihr Grübchen vertiefte, zog sich ein Schatten über ihr Gesicht. »Er war Taxifahrer und Europameister im Bankdrücken der Senioren.«
    »Das glaube ich gerne«, sagte er und maß ihre dralle Figur ab. In dieser Familie mangelte es offenbar nicht an Fleisch auf den ansehnlichen Hüften. Er schaute wieder in ihr Gesicht und wollte ihr besorgtes Lächeln gerade genauer begutachten, als es verschwand und ihr Gesicht ausdruckslos wurde.
    Sveinn konnte seine Augen nicht von ihren Händen lösen, ohne genau zu wissen, was an ihnen besonders war. Und die Handgelenke. Die

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