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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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zu, tastete sich weiter durch den Flur, fand eine Türklinke und drückte sie nach unten, aber es war abgeschlossen.
    Hinter der dritten Tür befand sich ein leeres Zimmer, spärlich beleuchtet von den Sonnenstrahlen, die sich durch die gräulichen Jalousien zwängten. Lóa kniff die Augen zusammen und hatte wegen der Staubschicht auf den Jalousien den Eindruck, ihr Blickfeld zerlaufe an den Rändern. Der Teppich war verdreckt, und der Geruch von Schmieröl erinnerte sie an die unzähligen Stunden, die sie als Kind mit untätigem Warten in der Werkstatt ihres Vaters verbracht hatte. Weil Taxis regelmäßig geölt werden mussten, wie er nicht müde wurde, ihr zu erklären. Obwohl es westdeutsche Qualitätsprodukte seien, die fast wie neu aussähen, wenn man sie polierte. Bei der Beerdigung hatte sie wieder das paradoxe Gefühl gehabt, auf ihn zu warten.
    Ína hatte in einem zu engen Sonntagskleid neben ihr gesessen und die Füße baumeln lassen. Lóa hatte in ihren Schoß gestarrt, mit Tränen in den Augen, und sich an Ínas Sonntagsmantel festgekrallt, sich aber ab und zu umgeschaut, so als sei sie wieder ein wartendes Kind in einer schmuddeligen Kaffeestube, wo es nichts anderes zu tun gab, als Zuckerwürfel zu lutschen und die Bikini-Mädchen an der Wand zu betrachten.

    Als sie die dritte und letzte Tür zuziehen wollte, erkannte sie an der Form der verschwommenen Sonnenstrahlen, dass der Flur am Ende offen war, dass es dort keine Wand gab, sondern noch mehr Dunkelheit, aus der ein säuerlicher, an Lack und Essig erinnernder Geruch drang. Lóa tastete neben der Tür herum, bis sie einen Schalter fand, und mit schnarrendem, rasselndem Geräusch sprang eine lange Reihe von Lampen an und gab ihr den Blick auf eine große, fensterlose Halle frei. Dies musste der Teil des Hauses sein, der von außen wie eine kleine Baracke aussah und an das gemauerte Wohnhaus anschloss. Die Neonlampen waren mit dicken Drähten an der gewölbten Decke befestigt.
    In der Ecke, die am weitesten von der Tür entfernt war, hingen menschliche Körper ohne Köpfe, genauer gesagt Frauenkörper, deren Beine mit Stöcken auseinandergehalten wurden – vier Stück, vollkommen identisch, mit so prallen Brüsten, dass die Brustwarzen Richtung Decke zeigten. Ihre Arme baumelten nicht locker an den Seiten herunter, sondern standen etwas abgespreizt vom Körper, wie wenn man versucht, auf einem Schiff das Gleichgewicht zu halten. Die Armstellung erweckte den Eindruck, dass die Frauen trotz der fehlenden Köpfe lebendig waren, und Lóa fühlte sich umzingelt. Ihre Schultern verspannten sich, und der Druck auf ihre Blase war nicht mehr auszuhalten.
    Sie duckte sich erschreckt und rührte sich nicht von der Stelle, obwohl sie am liebsten hinaus an die frische Luft gerannt wäre. Fieberhaft atmete sie aus und wieder ein, trat in der Türöffnung von einem Fuß auf den anderen, um die Beklemmung abzuschütteln, und schaute sich genauer um. Es war nichts zu hören, nichts bewegte sich, außer ihr selbst. Sie war allein, wurde von niemandem beobachtet und hatte nichts zu befürchten.
Jetzt kam es darauf an, klar zu denken, sich zu vergewissern, dass sie wach war, um dann eine glaubhafte Erklärung für diesen bizarren Anblick zu finden.
    Gestern Abend, kurz bevor sie auf dem Sessel eingeschlafen war, hatte Sveinn ihr erzählt, er sei Puppenmacher, aber sie hatte nicht richtig zugehört und sich vielleicht irgendwas Romantisches vorgestellt. Geschnitzte Marionetten mit märchenhafter Anmut in den hölzernen Gesichtszügen oder blasse Porzellanpuppen in cremefarbenen Seidenkleidern. Etwas weniger Romantisches als dies war jedoch kaum denkbar.
    Ein langes, erleichtertes Seufzen befreite Lóa von den letzten Resten der Angst und schärfte ihre Wahrnehmung. Die Haut der Puppen war aus Silikon – daher der Geruch. Sie hatte den sauren Essiggeruch des trocknenden Silikons schon vorher wahrgenommen und hätte die Puppen gerne genauer betrachtet, überprüft, ob ihre Oberfläche der menschlichen Haut so ähnlich war, wie sie schien.
    Nein, jetzt war es wichtiger, das Bad zu finden und nach Hause zu kommen, bevor die Mädchen aufwachten, und außerdem war dieser Sveinn vielleicht verrückt und drehte durch, wenn er sie hier entdeckte. Hatte er sich gestern Abend nicht ziemlich merkwürdig verhalten? Abwechselnd barsch und sanft, mal interessiert und dann wieder teilnahmslos.
    Lóa wollte gerade das Licht ausschalten und gehen, als sie sah, dass der Raum noch eine

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