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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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du weitere Exemplare deiner Monsterspezies auftreiben könntest.«
    »Daran soll's nicht mangeln.«
    »Ihr habt noch welche?«
    Lund nickte mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Dann begann sie zu essen.
    »Ein rundes Dutzend«, sagte sie. »Aber unten sind noch mehr.«
    »Viele?«
    »Ich müsste schätzen.« Sie machte eine Pause. »Aber ich würde sagen, ein paar Millionen.«

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    12. März
    Vancouver Island, Kanada
    Die Tage kamen und gingen, aber der Regen blieb.
    Leon Anawak konnte sich nicht erinnern, wann es in den letzten Jahren so lange am Stück geregnet hatte. Er schaute hinaus auf den einförmig glatten Ozean. Der Horizont erschien als quecksilbrige Linie zwischen der Wasseroberfläche und den tief hängenden Wolkenmassen. Dort hinten begann sich eine Pause abzuzeichnen vom tagelangen Geprassel. Genau ließ sich das nicht sagen. Ebenso gut konnte Nebel heranziehen. Der Pazifische Ozean schickte, was er wollte, im Allgemeinen ohne Vorankündigung.
    Ohne die Linie aus den Augen zu lassen, beschleunigte Anawak die Blue Shark und fuhr ein Stück weiter hinaus. Das Zodiac, wie die stark motorisierten, großen Schlauchboote genannt wurden, war voll besetzt. Zwölf Menschen in regenfesten Overalls, bewaffnet mit Feldstechern und Kameras, verloren gerade die Lust an der Sache. Weit über anderthalb Stunden hatten sie ausgeharrt in Erwartung von Grau- und Buckelwalen, die im Februar die warmen Buchten von Baja California und die Gewässer um Hawaii verlassen hatten, um ihren Treck in die sommerlichen Futtergründe der Arktis anzutreten. Sechzehntausend Kilometer legten sie jedes Mal zurück. Ihre Reise führte sie vom Pazifik durch das Beringmeer in die Tschuktschensee bis an die Packeisgrenze und mitten hinein ins Schlaraffenland, wo sie sich die Bäuche voll schlugen mit Flohkrebsen und Garnelen. Wenn die Tage wieder kürzer wurden, traten sie erneut den langen Weg an, zurück nach Mexiko. Dort, geschützt vor ihren schlimmsten Feinden, den Orcas, brachten sie ihre Jungen zur Welt. Zweimal im Jahr passierten die Herden der riesigen Meeressäuger British Columbia und die Gewässer vor Vancouver Island – Monate, in denen Orte wie Tofino, Ucluelet und Victoria mit ihren Whale-Watching-Stationen ausgebucht waren.
    Nicht so in diesem Jahr.
    Längst hätten Vertreter der einen oder anderen Spezies Kopf oder Fluke für das obligatorische Foto herhalten müssen. Die Wahrscheinlichkeit, den Säugern zu begegnen, war um diese Zeit so hoch, dass Davies Whaling Station Walsichtungen garantierte und für dengegenteiligen Fall kostenlose Wiederholungsfahrten anbot. Ein paar Stunden ohne Sichtungen mochten vorkommen, ein Tag galt schon als ausgesprochenes Pech. Eine ganz Woche bot Anlass, sich Sorgen zu machen, aber eigentlich kam es nicht vor.
    Doch diesmal schienen die Tiere irgendwo zwischen Kalifornien und Kanada verloren gegangen zu sein. Auch heute fand das Abenteuer nicht statt. Kameras wurden weggepackt. Zu Hause würde es nichts zu erzählen geben, außer dass man an einer möglicherweise reizvollen Felsenküste vorbeigefahren war, die sich den Blicken hinter Vorhängen aus Regen entzog.
    Anawak, gewohnt, zu allen Sichtungen Erklärungen und Kommentare abzugeben, spürte seine Zunge am Gaumen kleben. Im Verlauf der letzten anderthalb Stunden hatte er die Geschichte der Region heruntergebetet und Anekdoten zum Besten gegeben, um die Stimmung nicht gänzlich absaufen zu lassen. Inzwischen schien ihm, dass niemand mehr etwas über Wale und Schwarzbären hören wollte. Sein Vorrat an Ablenkungsmanövern war erschöpft. In seinem Schädel zirkulierte die Frage nach dem Verbleib der Wale. Wahrscheinlich hätte er sich eher um den Verbleib der zahlenden Touristen sorgen sollen, aber er konnte nicht aus seiner Haut.
    »Wir fahren zurück«, beschied er.
    Enttäuschtes Schweigen. Für die Rückfahrt durch den Clayoquot Sound würden sie eine gute Dreiviertelstunde brauchen. Er beschloss, den Nachmittag wenigstens rasant zu beenden. Ohnehin waren sie alle nass bis auf die Knochen. Das Zodiac verfügte über zwei PS-starke Motoren, die eine adrenalinfördernde Fahrt garantierten, wenn man sie voll aufdrehte. Alles, was er den Leuten jetzt noch bieten konnte, war Geschwindigkeit.
     
    Als die Stelzenhäuser von Tofino mit dem Pier der Station in Sicht kamen, hörte es unvermittelt auf zu regnen. Die Hügel und Bergrücken erschienen wie aus grauem Karton geschnitten, die Gipfel in Dunst und Wolken gehüllt. Anawak

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