Der Schwarm
Gehirn der Säuger. Dieses Interesse geht zurück auf die Sechziger. Zur Zeit des ersten Golfkriegs scheint es neu aufgeflammt zu sein. Du warst damals schon einige Jahre dabei. Als du die Navy verlassen hast, bist du im Rang eines Lieutenant ausgeschieden, zuletzt verantwortlich für die beiden Delphinstaffeln MK6 und MK7, zwei von insgesamt vier.«
Greywolfs Brauen zogen sich zusammen.
»Na und? Habt ihr keine anderen Sorgen in eurem Ausschuss? Die Situation in Europa beispielsweise?«
»Der nächste Schritt in deiner Karriere hätte dir die Gesamtverantwortung über das komplette Programm eingetragen«, fuhr Anawak fort. »Stattdessen hast du alles hingeschmissen.«
»Ich habe überhaupt nichts hingeschmissen. Sie haben mich ausgemustert.«
Anawak schüttelte den Kopf. »Jack, ich genieße ein paar bemerkenswerte Privilegien. Ich verdanke ihnen Zugriff auf eine Reihe von Daten, an deren Verlässlichkeit es nichts zu rütteln gibt. Du bist freiwillig gegangen, und ich würde gerne wissen, warum.«
Er nahm den Ausdruck des Earth-Island-Artikels vom Tresen und reichte ihn Greywolf, der einen kurzen Blick darauf warf und das Blatt weglegte.
Eine ganze Weile war es still.
»Jack«, sagte Anawak leise. »Du hattest Recht. Ich freue mich wirklich, dich zu sehen, aber ich brauche deine Hilfe.«
Greywolf sah zu Boden und schwieg.
»Was hast du damals erlebt? Warum bist du gegangen?«
Der Halbindianer brütete weiter vor sich hin. Dann straffte er sich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Warum willst du das wissen?«
»Weil es uns helfen könnte zu verstehen, was mit unseren Walen geschehen ist.«
»Es sind nicht eure Wale. Es sind nicht eure Delphine. Nichts ist euer. Du willst wissen, was los ist? Sie schlagen zurück, Leon. Wir kriegen die längst fällige Quittung. Sie spielen nicht mehr mit. Wir haben sie als Eigentum betrachtet, ihnen Leid zugefügt, sie missbraucht, sie begafft. Sie haben einfach die Schnauze voll von uns.«
»Du glaubst tatsächlich, sie tun das alles aus freiem Willen?«
Greywolf setzte zum Sprechen an, dann schüttelte er den Kopf.
»Mich interessiert nicht mehr, warum sie irgendetwas tun. Wir haben uns schon viel zu sehr für sie interessiert. Ich will es nicht wissen, Leon, ich will einfach nur, dass man sie in Frieden lässt.«
»Jack«, sagte Anawak langsam. »Sie werden gezwungen.«
»Quatsch. Wer sollte ...«
»Sie werden gezwungen! Wir haben den Beweis. Ich dürfte dir das gar nicht erzählen, aber ich brauche Informationen. Du willst ihnen Leid ersparen, dann tu es auch. Im Moment widerfährt ihnen größeres Leid, als du dir vorstellen kannst..«
»Als ich mir vorstellen kann?« Greywolf sprang auf. »Was weißt du denn? Du weißt gar nichts!«
»Dann klär mich auf.«
»Ich habe ...« Der Riese schien mit sich zu ringen. Seine Kiefer mahlten. Er ballte die Fäuste. Dann ging eine Veränderung mit ihm vor. Sein Körper entspannte sich, erschlaffte geradezu.
»Komm mit«, sagte er. »Wir gehen spazieren.«
Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Am Ortsrand wählte Greywolf einen Pfad, der unter Bäumen hindurch zum Wasser führte. Nach wenigen Schritten erreichten sie die Böschung. Ein kleiner, wackliger Steg führte hinaus und bot Ausblick auf die herbe Schönheit der Bucht. Greywolf schlenderte die windschiefen Planken entlang und ließ sich am Stegende nieder. Anawak folgte ihm. Von Tofino lugten hinter der Landzunge zur Rechten nur Davies Pier und einige Stelzenhäuser hervor. Sie saßen eine Weile dort und sahen auf die Berge, deren Farben im späten Nachmittagslicht kraftvoll leuchteten.
»Deine Daten sind nicht ganz vollständig«, sagte Greywolf schließlich. »Offiziell gibt es vier Gruppen, MK4 bis 7, aber es existiert eine fünfte Gruppe, Deckname MK0. Die Navy bevorzugt übrigens den Begriff System statt Gruppe. Jedem System fallen bestimmte Aufgaben zu. Es stimmt, San Diego hat die Leitung inne, aber die meiste Zeit verbrachte ich in Coronado, Kalifornien, wo viele der Tiere trainiert werden. Die Armee hält sie in ihrem natürlichen Lebensraum, in Buchten und Hafenanlagen. Es geht ihnen dort gut! Sie werden regelmäßig gefüttert und genießen ausgezeichnete medizinische Versorgung, das ist mehr, als die meisten Menschen für sich verbuchen können.«
»Und du warst für diese fünfte Gruppe ... das fünfte System verantwortlich?«
»Du machst dir falsche Vorstellungen. MK0 ist anders. Im Allgemeinen umfasst ein System
Weitere Kostenlose Bücher