Der Schwarm
vorbei, wo er einen Kaffee trank und mit Fischern plauderte. Während seiner Abwesenheit waren zwei Männer in einem Kanu verunglückt und gestorben. Sie hatten sich trotz des strikten Verbots hinausgewagt. Keine zehn Minuten hatte es gedauert, bis sie von Orcas gerammt worden waren. Die Überreste des einen Mannes waren später angespült worden, von dem anderen fehlte jede Spur. Niemand verspürte Lust, ihn zu suchen.
»Ist ja nicht deren Problem«, sagte einer der Fischer, womit er die Betreiber der großen Fähren, Frachter und Fabriktrawler und die Kriegsmarine meinte. Er trank sein Bier mit der Verbissenheit desjenigen, der den Schuldigen ausgemacht zu haben glaubt und sich durch nichts und niemanden davon abbringen lässt, ihm die Verantwortung für seine Misere anzulasten. Dann sah er Anawak an, als erwarte er von ihm eine Bestätigung.
Es ist sehr wohl deren Problem, war Anawak versucht zu sagen, ihren Schiffen geht es keinen Deut besser. Er schwieg. Was sollte er antworten? Er durfte über die großen Zusammenhänge nicht sprechen, und die Leute in Tofino sahen nur ihren Ausschnitt der Welt. Siekannten die Statistik über die Zunahme schwerer Unglücke nicht, mit denen Peak den Stab konfrontiert hatte.
»Nee, Junge, denen kommt das doch gelegen!«, knurrte der Mann. »Die großen Fangflotten dehnen ihr Monopol immer weiter aus, und jetzt so was. Sie haben uns die Bestände weggefischt, und jetzt räumen sie den Rest auch noch ab, nachdem wir Kleinen nicht mal mehr rausfahren können.« Und dann, nach einem weiteren Zug aus seinem Glas, sagte er: »Wir sollten diese verdammten Wale abschießen. Wir sollten ihnen zeigen, wo der Hammer hängt.«
Es war überall dasselbe. Wo immer Anawak hinhörte in den Stunden, seit er in Tofino war, klang die gleiche Forderung durch.
Töten wir die Wale.
War alles umsonst gewesen? Die Jahre der Mühsal, um ein paar lumpige, löchrige Schutzverordnungen zu erzwingen? Auf seine Weise hatte der frustrierte Fischer am Tresen von Schooners den Nagel auf den Kopf getroffen. Aus Sicht der kleinen Fischer brachte die Situation den Großen nur Vorteile ein, weil große Fabrikschiffe die Fanggründe als Einzige noch befahren konnten und jene, denen die Erlasse der Internationalen Walfangkommission, eingeschränkte Fangquoten und Jagdverbote immer schon ein Dorn im Auge gewesen waren, endlich eine Legitimation vorweisen konnten, wieder Wale zu jagen.
Anawak bezahlte seinen Kaffee und ging zurück zur Station. Der Verkaufsraum war leer. Er machte es sich hinter der Theke bequem, schaltete den Computer ein und begann, das World Wide Web zu durchforsten auf der Suche nach militärischen Dressurprogrammen. Es war mühsam. Diverse Seiten ließen sich nicht aufrufen. Während sie im Chateau Zugriff auf jede gewünschte Information hatten, krankte das öffentliche Netz zunehmend unter dem Ausfall der Tiefseekabel.
Anawak ließ sich nicht entmutigen. Die offizielle Homepage des US Navy's Marine Mammal Program zur militärischen Arbeit mit Meeressäugern fand er schnell. Was dort zu lesen war, kannte er bereits aus dem Whistler Circuit. Jeder bessere investigative Journalist hatte dutzendfach darüber berichtet. Er schloss die Seite und suchte weiter. Nach kurzer Zeit stieß er auf Meldungen über ein militärisches Programm in der ehemaligen Sowjetunion, die viel versprechend klangen. Eine größere Anzahl Delphine, Seelöwen und Belugas waren demnach während des Kalten Krieges mit dem Auffinden von Minen und verloren gegangenen Torpedos betraut und zum Schutz der Schwarzmeerflotte eingesetzt worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die Tiere in ein Ozeanarium in Sevastopol auf der Krimhalbinselüberführt worden und hatten dort Zirkuskunststücke vorgeführt, bis den Betreibern das Geld für Lebensmittel und Medikamente ausgegangen war und sie vor der Alternative standen, ihre Schützlinge entweder zu töten oder zu verkaufen. Einige Tiere gelangten auf diese Weise in ein Therapieprogramm für autistische Kinder. Die anderen wurden in den Iran verkauft. Dort verlor sich ihre Spur, was vermuten ließ, dass sie Gegenstand neuerlicher militärischer Experimente geworden waren.
Offenbar erlebten Meeressäuger eine Renaissance in der strategischen Kriegsführung. Während des Kalten Krieges hatte ein regelrechtes Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion stattgefunden, wer die effizienteste Meeressäugerstaffel aufbaute. Mit dem Ende der Blockstaaten schien sich
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