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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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hinab mit unzähligen deinesgleichen, ein kalter, salziger Wasserpartikel, müde und schwer geworden nach der wärmezehrenden Reise von den Tropen hinauf in diese unwirtliche Region, bis ihr euch im Grönländischen und Norwegischen Tiefseebecken gesammelt habt, in einem großen Pool eiskalten, schweren Wassers. Von dort schwappst du über den untermeerischen Gebirgszug zwischen Grönland, Island und Schottland ins Atlantische Becken. Endlos geht es über Lavahaufen und Sedimentablagerungen in den Abgrund. Ihr seid ein mächtiger Strom, du und die anderen, und bei Neufundland werdet ihr zudem verstärkt durch Wassermassen aus der Labradorsee, die weniger dicht und kalt sind. In Höhe der Bermudas nähern sich kreisrunde Ufos quer über den Ozean aus demMittelmeer, warme, extrem salzige Wasserwirbel, die aus der Straße von Gibraltar rübergeflogen kommen und zu euch stoßen. Mittelmeer, Labrador, Grönland, all diese Wasser vermischen sich, und ihr strebt weiter nach Süden, tief unten im Meer.
    Du wirst Zeuge, wie sich die Erde selbst erschafft.
    Dein Weg führt dich entlang des Atlantischen Rückens, einer jener gewaltigen Höhenrücken, die sämtliche Ozeane längs durchziehen. Zusammen so groß wie alle Kontinente, aneinander gereiht 60 000 Kilometer lang, gekrönt von Reihen um Reihen aktiver und erloschener Vulkane. Mehr als 3000 Meter ragen die Rücken über dem Meeresboden auf, immer noch fast ebenso viel Wasser haben sie über sich, und spalten die Erde. Wo ihre Achse sich spreizt, dringt Magma aus unterirdischen Kammern an die Oberfläche, aber anstatt explosionsartig zu verdampfen, quillt das flüssige Gestein unter dem Druck der kalten Tiefsee in trägen Kissen hervor. Es drängt sich zwischen die Flanken der ozeanischen Rücken und schiebt sie auseinander mit der Beharrlichkeit impertinenter, dicker Kinder – neu geborener Meeresboden, der erst noch seine Form finden muss. Unendlich langsam driften die Hänge auseinander. Heiß ist der Boden, wo die Lava das Schwarz der Tiefsee leuchtend rot mäandert. Erdbeben schütteln die Schlucht, aus der sie quillt, und die Kammregion zu beiden Seiten. Weiter außen kühlen die Hänge ab. Älteres Gestein formt dort die Topographie, mit wachsendem Abstand zum Rücken immer älter, kälter und dichter werdend, bis der alte, kalte, schwere Boden zu den endlosen Abyssalen abfällt, den Tiefseeebenen, die sich, gespickt mit Bergen und überzogen mit Schichten aus lockerem Sediment, dahinwälzen, Förderbänder vergangener Zeitalter, nach Westen Amerika zustrebend und ostwärts gen Europa und Afrika, bis sie sich eines Tages unter die Landmassen schieben werden, um tief in den Erdmantel hinabzutauchen und aufzuschmelzen im Brennofen der Asthenosphäre, die sie Jahrmillionen später zurückschicken wird in die Schluchten der ozeanischen Rücken, als rot glühende Magma.
    Welch ein Kreislauf! Rund um den Erdball wandert der Meeresboden unermüdlich dahin, gespalten vom Druck des Erdinnern und gezogen vom Gewicht seiner abtauchenden Bodenplatten. Ein beständiges Pressen, Ziehen und Zerren, geolithische Geburtswehen und Bestattungszeremonielle, die das Gesicht der Erde formen. Afrika wird sich mit Europa vereinen. Wieder vereinen! Die Kontinente verschieben sich. Aber sie bewegen sich nicht wie Eisbrecher durch spröde Erdkruste, sondern werden passiv auf ihr mitgeschleppt, seit Rodinia, der erste aller Urkontinente, im Präkambrium auseinander gerissenwurde. Nichts anderes geschieht, als dass seine Bruchstücke immer wieder zueinander streben, sich zu Gondwana und zuletzt Pangäa fanden und erneut getrennt wurden, eine versprengte Familie mit einer 165 Millionen Jahre alten Erinnerung an die letzte zusammenhängende Landmasse mit einem einzigen Ozean drum herum, gebunden an die Fließgeschwindigkeit zähflüssigen Mantelgesteins, dazu verdammt, einander auf einer Kugel zu suchen.
    Du bist ein Partikel.
    Du erlebst nur einen Atemzug von alledem. Während sich der atlantische Meeresboden fünf Zentimeter weitergeschoben hat, bist du bereits ein Jahr gewandert. Auf dieser Reise siehst du Leben ohne Sonne. Die Lava erkaltet schnell und bildet Verwerfungen und Risse. Meerwasser dringt in den neuen, porösen Boden. Kilometertief fließt es hinab bis unmittelbar über die heißen Magmakammern im Erdinnern, kehrt zurück nach oben, gesättigt von Leben spendender Wärme und Mineralien, pechschwarz gefärbt von Sulfiden, und schießt aus haushohen, schornsteinähnlichen Gebilden,

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