Der Schwarm
wir fragen, warum. Weil an dem Schiff etwas vorgeht, das zu Ende gebracht werden soll? Weil es sinken soll, nachdem es von den Muscheln lahm gelegt wurde? Dann dieser unbekannte Organismus, der die Flucht ergreift, als ich seinem Versteck zu Leibe rücke. – Wie klingt das für Sie?«
»Wie die Fortsetzung von Independence Day mit anderen Mitteln. Meinen Sie wirklich ...«
»Warten Sie. Nehmen wir dieselbe Gleichung. Eine etwas nervöse Herde Grau- oder Buckelwale fühlt sich durch die Barrier Queen belästigt. Da kommen zu allem Überfluss zwei Schlepper und rempeln sie an. Sie rempeln zurück. Aus purem Zufall ist das Schiff zudem von einer biologischen Plage befallen, die es sich im Ausland geholt hat wie ein Tourist die Pocken, und auf hoher See hat sich ein Kalmar in die Muschelberge verirrt.«
Roberts starrte ihn an.
»Wissen Sie, ich glaube nicht an Science-Fiction«, fuhr Anawak fort. »Alles ist eine Frage der Interpretation. Schicken Sie ein paar Leute da runter. Sie sollen den Bewuchs abkratzen, aufpassen, ob noch weitere Überraschungsgäste darin sitzen, und sie einfangen.«
»Was glauben Sie, wann wir mit den Ergebnissen aus Nanaimo rechnen können?«
»In wenigen Tagen, schätze ich. – Es wäre übrigens hilfreich, wenn ich ein Exemplar des Berichts bekäme.«
»Vertraulich«, betonte Roberts.
»Selbstverständlich. Ebenso vertraulich würde ich mich gerne mit der Mannschaft unterhalten.«
Roberts nickte. »Ich habe nicht das letzte Wort in der Sache. Aber ich sehe, was sich machen lässt.«
Sie gingen zurück zum Lieferwagen, und Anawak schlüpfte in seine Jacke.
»Ist es eigentlich üblich, in solchen Fällen Wissenschaftler hinzuzuziehen?«, fragte er.
»Solche Fälle sind überhaupt nicht üblich.« Roberts schüttelte den Kopf. »Es war meine Idee, ich hatte Ihr Buch gelesen und wusste, dass Sie auf Vancouver Island zu finden sind. Die Untersuchungskommission ist davon nicht rückhaltlos begeistert. – Aber ich denke, es war richtig. Wir verstehen nun mal nicht so viel von Walen.«
»Ich tue mein Bestes. Laden wir die Proben in den Helikopter. Je schneller wir sie nach Nanaimo schaffen, umso besser. Wir geben sie direkt in die Hände von Sue Oliviera. Sie ist Laborleiterin. Molekularbiologin, extrem fähig.«
Anawaks Mobiltelefon klingelte. Es war Stringer.
»Du solltest herkommen, sobald du kannst«, sagte sie.
»Was ist los?«
»Wir haben einen Funkspruch von der Blue Shark erhalten. Sie sind draußen auf See und haben Ärger.«
Anawak ahnte Böses.
»Mit Walen?«
»Quatsch, nein.« Stringer sagte es, als sei er nicht recht bei Trost. »Was sollen wir für einen Ärger mit Walen haben? Dieses blöde Arschloch macht wieder Stress, dieser gottverdammte Mistkerl.«
»Welches Arschloch?«
»Na, wer schon! Jack Greywolf.«
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6. April
Kiel, Deutschland
Zwei Wochen, nachdem er Tina Lund die Abschlussberichte der Wurmanalysen übergeben hatte, saß Sigur Johanson in einem Taxi, das ihn zu Europas renommiertester Adresse für marine Geowissenschaften fuhr, zum Forschungszentrum Geomar.
Wann immer es um Aufbau, Entstehung und Geschichte des Meeresbodens ging, wurden die Wissenschaftler aus Kiel konsultiert. Kein Geringerer als James Cameron ging bei den Kielern ein und aus, um sich den letzten Segen für Projekte wie Titanic und The Abyss zu holen. Der Öffentlichkeit war die Arbeit der Geomar-Forscher eher schwer zu erklären. Das Herumstochern in Sedimenten und das Messen von Salzgehalten schien auf den ersten Blick wenig zur Beantwortung drängender Menschheitsfragen beizusteuern. Ohnehin konnte sich kaum jemand vorstellen, was noch Anfang der Neunziger nicht mal die Mehrzahl der Wissenschaftler hatte glauben wollen: Am Boden der Meere, fernab von Sonnenlicht und Wärme, erstreckte sich keine leere, felsige Wüste. Es wimmelte dort von Leben. Zwar wusste man schon länger von exotischen Artengemeinschaften entlang vulkanischer Tiefseeschlote. Als jedoch 1989 der Geochemiker Erwin Suess von der Oregon State University zum Geomar-Forschungszentrum berufen wurde, erzählte er von noch bizarreren Dingen, von Oasen des Lebens an kalten Tiefseequellen, von geheimnisvollen chemischen Energien, die aus dem Erdinnern aufstiegen – und vom massenhaften Vorkommen einer Substanz, die bis dahin als vermeintlich exotisches Zufallsprodukt kaum Beachtung gefunden hatte: Methanhydrat.
Spätestens jetzt traten die Geowissenschaften aus dem Schatten heraus, den sie – wie die
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