Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe
Schuppen, dessen Thüre kein wirkliches Schloß, sondern nur einen Riegel hatte. Sie lauschten. Drinnen ließen sich vereinzelte Hufschläge vernehmen, wenn ein Pferd mit dem Beine stampfte. Es war finster im Innern. Ein Wächter wäre gewiß nicht in den vollständig dunkeln Raum eingeschlossen worden; es war also keiner da. Der Häuptling schob den Riegel zurück, öffnete die Thür ein wenig, stellte sich so, daß er von innen nicht gesehen werden konnte und rief einigemal in englischer Sprache hinein, als ob er ein Bekannter des etwa doch anwesenden Postens sei. Es erfolgte keine Antwort. Nun traten die vier Indianer ein.
Die Pferde der beiden Timpes waren ganz nach hinten geschafft worden; die Rapphengste standen fast ganz vorn. Der Häuptling merkte trotz der Dunkelheit sehr bald, welches die von ihm gewünschten Tiere waren.
»Sie stehen hier,« sagte er. »Nehmt euch in acht! Reiten dürfen wir sie nicht, denn sie kennen uns nicht; wir müssen sie führen, und da werden wir draußen sehr bald mit ihnen zu thun bekommen, sobald sie merken, daß es fortgehen soll, und ihre Herren nicht dabei sind.«
Die Rapphengste wurden vorsichtig losgebunden und langsam hinausgeführt. Sie folgten den Komantschen zwar ohne sich zu widersetzen, aber doch in einer Weise, welche zeigte, daß sie Verdacht geschöpft hatten. Die Thür wurde wieder verriegelt, und dann entfernten sich die Indsmen mit ihrem kostbaren Raube. Der tiefe, weiche Schlamm, den der Regen gebildet hatte, ließ die Schritte der Menschen und der Tiere nicht hörbar werden.
Tokvi Kava fühlte sich außerordentlich befriedigt von dem Streiche, den er den beiden berühmten, von ihm aber so sehr gehaßten Männern heut spielen durfte. Er war seiner Sache vollständig sicher und hegte die Ueberzeugung, daß er am heutigen Abend ganz fehlerlos schlau gehandelt habe, und doch irrte er sich. Er hatte in seiner Rechnung vergessen, grad die Hauptfaktoren gehörig in Erwägung zu ziehen, nämlich den Scharfsinn der beiden Bestohlenen und die vorzüglichen Eigenschaften sowie die ebensogute Dressur der Pferde, die nicht gewohnt waren, ohne Erlaubnis ihrer Herren fremden Personen zu gehorchen.
Der größte Fehler aber, der von ihm begangen worden war, bestand darin, daß er den Chinesen gesagt hatte, wer er war. Er nahm zwar mit Sicherheit an, daß sie nichts verraten würden, aber einem Winnetou und seinem weißen Freunde gegenüber war das eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit.
Zweites Kapitel
Nach dem Rocky-Ground
Lieber Leser, hast du einmal von dem »weißen Mustang« gehört? Berufene und nicht berufene Schriftsteller haben über ihn geschrieben; Leute, welche den wilden Westen genau kennen gelernt hatten, und Leute, deren Füße niemals die amerikanische Erde betraten, erzählten von ihm. Ich selbst habe wie oft mit weißen Jägern und roten Männern beisammengesessen, welche behaupteten und darauf schworen, den »weißen Mustang« gesehen zu haben, und es ist mir nicht eingefallen, dieser Versicherung einen Zweifel entgegenzusetzen, denn sie hatten ihn gesehen und doch auch wieder – – nicht gesehen; der »weiße Mustang« war eine Sage, ein Märchen, ein Phantom, ein Gebild der Phantasie, welchem allerdings wirklich Gesehenes zu Grunde lag.
Zur Zeit, als noch Büffel-und Pferdeherden zu tausend und abertausend Stück die weiten Prairien bevölkerten und während des Frühlings nord-, zur Herbstzeit aber südwärts zogen, konnte es einem vorsichtigen Jäger glücken, den »weißen Mustang« zu Gesicht zu bekommen, aber nur einem vorsichtigen, der sich anzuschleichen verstand, und auch da nur von weitem, aus der Ferne. Denn der »weiße Mustang« war der erfahrenste und klügste unter allen Leithengsten, die jemals an der Spitze einer wilden Pferdeherde gestanden haben. Sein Auge durchdrang den dichtesten Busch; sein Ohr hörte das leise Schleichen des Wolfes Tausende von Schritten weit, und seine tiefroten Nüstern erfaßten den Geruch des Menschen aus noch viel größeren Entfernungen. Aus einer von dem »weißen Mustang« angeführten und bewachten Herde hat sich nie ein Jäger ein gesundes Pferd mit dem Lasso herausholen können; wenn ihm je eines zur Beute fiel, so war es krank und für ihn unbrauchbar. Nie hat man den »weißen Mustang« grasen sehen. Er hatte keine Zeit dazu. Stets und stets und ohne Unterlaß flog er in graziösen und doch so kräftigen Sprüngen rund um seine ruhig weidende Herde, um beim geringsten Anzeichen der Gefahr jenes
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