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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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später, als es Nacht wurde und Isti anfing, nach ihm zu fragen. Erst hatte mein Vater geschimpft, warum er jetzt noch mitgehen solle, wo Isti doch schon zu Hause sei, aber als er ihn sah, blieb er vor seinem Bett stehen und verließ das Zimmer nicht mehr, auch nicht in den nächsten Tagen und Nächten. Er stand dort und schaute auf Isti. Wenn jemand an der Tür klopfte, jemand aus der Schokoladenfabrik, winkte mein Vater ab, und Zsófi ging und redete im Hof, und dann hörten wir das Tor ins Schloß fallen, und Zsófi kam zurück mit einer Tafel Schokolade, die sie auf den kleinen Tisch neben Istis Bett legte.

    Unser Vater wartete darauf, daß Isti aufwachte oder einschlief, daß er etwas sagte oder aufhörte zu reden, daß er sich aufsetzte oder wieder hinlegte. Er wartete, ohne zu drängen, ohne zu ermüden, und Zsófi und ich wunderten uns, daß ausgerechnet mein Vater vor Istis Bett stand und wartete. Hin und wieder beugte er sich vor, legte einen Arm auf die Decke oder eine Hand auf das Kissen, als könne Isti davon gesund werden, wenn seine Hand dort lag, und wenn Isti die Augen öffnete, nickte mein Vater ihm zu, ohne daß Isti etwas gesagt oder gefragt hätte. Wenn Zsófi glaubte, unser Vater könne nicht mehr stehen, schob sie einen Stuhl ans Bett, sagte: Kálmán, nichts weiter als: Kálmán, zeigte mit dem Kinn zum Stuhl, und dann setzte sich mein Vater, ganz langsam, als müsse er sich erst daran erinnern, daß er das konnte: sitzen, als habe er es vergessen.

    Zsófi legte Tücher in eine Schüssel, die sie mit Wasser gefüllt hatte, trüb wie aus einer Regentonne, und wikkelte sie um Istis Beine. Sie wechselte Istis Kissen, wenn es naß geworden war, zog die Decke wieder hoch bis zu seinem Kinn, wenn Isti sie im Schlaf weggetreten, wenn er sie verloren hatte. Sie faßte an Istis Füße, in viel zu kurzen Abständen, um zu fühlen, ob sie heiß, ob sie kalt waren, fragte meinen Vater, was brauchst du, was soll ich dir bringen?, und wenn er sagte: nichts, fing sie wieder an, nasse Tücher um Istis Waden zu legen. Ich saß neben meinem Vater, wir schauten auf Zsófi, auf die Schüssel, aufs Federbett, auf Isti, sein nasses Haar, das der Schweiß verklebt hatte, auf seinen Kopf, der klein aussah in diesem Kissen, wir hörten auf sein Atmen, das zu laut war, und wenn mein Vater sagte, leg dich hin und schlaf, erwiderte ich, nein, ich schlafe nicht, ich bin nicht müde. Mein Vater ließ mich auf dem Stuhl einschlafen, und erst wenn ich aufs Federbett kippte, mit dem Kopf neben Istis Füße, erst dann trug er mich in die Küche, wo ich auf der Liege schlief in diesen Tagen, weil man nicht wollte, daß ich weiter neben Isti schlief.

    Für uns war der Tag, an dem Isti ins Wasser fiel, ein Tag gewesen wie jeder andere. Vielleicht war das Licht anders gewesen - oder ich glaube es jetzt nur, weil ich es gerne so hätte. Zsófi hatte die Kerzen vor Jenős Altar gewechselt, Pista hatte vor der Gartenlaube gestanden und geraucht, mein Vater war mit dem Fahrrad zur Fabrik gefahren, und Zsófi hatte wie jedesmal zu ihm gesagt, nimm Jenős Schal, es ist kalt draußen. Anikó, Isti und ich hatten für Zsófi Nüsse geknackt, Isti hatte mit einem Hammer auf sie geschlagen, bis sie durch die Küche sprangen, und Anikó und ich hatten sie aufgehoben, ihre Schalen entfernt und sie gemahlen. Anikó hatte das Klötzchen gehalten, ich hatte die Kurbel gedreht, und Isti hatte zugesehen, wie die Nüsse wie Sand in den Teller rieselten.

    Am Nachmittag war Isti aus dem Fenster gestiegen, nicht, weil ihn niemand sehen durfte, sondern weil es ihm besser gefiel, als einfach nur durch die Tür zu gehen, wie es jeder tat. Er war die Straße hinabgelaufen, dann weiter, bis zu Évas Haus, wo Licht in der Küche brannte, und weiter, über die Felder, hinunter zum Fluß, wo er das Schilf zur Seite schlug, um auf den Steg zu kommen, der mit Schnee bedeckt war, seit Tagen. Später habe ich immer wieder versucht, diesen Tag in meinem Kopf zusammenzufügen, die fehlenden Stücke zu finden und einzusetzen, die fehlenden Bilder zwischen Istis Sprung aus dem Fenster und seinem Sprung ins Wasser, aber es gelang mir nicht. Irgend etwas fehlte. Irgendwo blieb eine Stelle leer, immer.

    Niemand schimpfte mit Isti, als er uns erzählte, wie er zum Fluß gelaufen war, obwohl Zsófi es verboten hatte. Keiner wunderte sich, als er uns erklärte, in seinem Kopf sei es längst schon Frühling gewesen, der Schnee, die Kälte, das Eis, all das sei ihm

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