Die rote Agenda
[7] Prolog
Der
Mann erhielt den Anruf in seinem Zimmer des Hotels Cadogan in Knightsbridge.
Nachdem er aufgelegt hatte, nahm er den Umschlag, steckte ihn in die
Manteltasche und ging hinaus. An der Rezeption gab er den Schlüssel ab und
instruierte den Portier, er solle Mr. Partanna, falls dieser ihn telefonisch zu
erreichen versuche, seine Handynummer geben mit der Bitte, ihn anzurufen.
Dann stieg
er in eines der vor dem Eingang parkenden Taxis und nannte dem Fahrer als
Adresse das Auktionshaus Sommer’s in Piccadilly.
Es
herrschte reger Verkehr. Zum dritten Mal, seit er ins Taxi gestiegen war, sah
er auf die Uhr. Endlich läutete das Handy. »Tano, ich bin’s. Wo treffen wir
uns?«, fragte eine Stimme, die ihm wohlbekannt war.
»Bei
Sommer’s. In einer halben Stunde im Ausstellungsraum des Auktionshauses vor dem
Porträt eines gewissen Sir Malcolm. Sie haben einige Räume eines alten Wohnhauses
von Dorset rekonstruiert, dort werde ich sein, vor dem Bild. Ich trage einen
grauen Burberry.«
»Glaubst
du, ich würde dich nicht erkennen?«, fragte der Mann am anderen Ende. Diesmal
sprach er Italienisch, mit einem starken sizilianischen Akzent.
»Natürlich
nicht, Salvatore«, antwortete Tano erleichtert. [8] Er war froh, bald würde er
diesen Umschlag los sein und ein hübsches Sümmchen auf einer Bank auf den
Cayman-Inseln liegen haben; und da Salvatore der Mann war, dem er den Umschlag
übergeben sollte, war er beruhigt: Ihm konnte er vertrauen, sie standen sich
näher als Brüder.
Er kam
früher als vorgesehen bei Sommer’s an. Dort ging er in den Ausstellungsraum und
warf einen Blick auf die Gemälde an den Wänden, das Porzellan und die antiken Möbel,
ohne sie eigentlich zu sehen. Dann betrat er den Raum, der mit Sir Malcolms
Salonmöbeln aus dem 19. Jahrhundert eingerichtet war, und blieb vor seinem
Porträt stehen.
Als
Überbringer dieses zigarrenkistengroßen Päckchens zu fungieren war bis jetzt
nicht schwierig gewesen. Er hatte die Anweisungen befolgt und sich mit dem
Schlüssel des Schließfachs, den man zwei Tage zuvor in seinem Apartment in Soho
zusammen mit einem falschen Pass und einem geklonten Handy deponiert hatte, in
eine Bank in der City begeben. Dort hatte er den Umschlag an sich genommen, das
Einzige, was sich in dem Schließfach befand, sich dann im Hotel Cadogan
eingemietet und auf neue Anweisungen gewartet. Diese hatte er noch am gleichen
Tag mit dem zweiten Anruf erhalten. Eine unbekannte Stimme hatte ihm gesagt, er
solle den Ort der Übergabe selbst bestimmen und anschließend einen weiteren
Anruf auf dem geklonten Handy abwarten. Erst dann würde er mit dem Mann
sprechen, dem er den Umschlag übergeben sollte.
Tano war
ein junger Broker, der seit Jahren in London lebte. Einige Tage zuvor hatte er
eine Freundin zu einer Ausstellung antiker Möbel bei Sommer’s begleitet,
deshalb war seine Wahl auf das Auktionshaus als Übergabeort gefallen.
[9] Alles
war wie geplant gelaufen, dachte Tano, während er den rüstigen englischen
Adligen auf dem Gemälde betrachtete. Um diese Zeit am Vormittag waren fast
keine Besucher in der Ausstellung, nur eine elegante alte Dame mit rosigem
Teint blieb für einen Augenblick stehen, um ein Teeservice zu bewundern.
Er hörte
Schritte hinter sich und wandte sich um, überzeugt davon, Salvatore zu sehen,
doch der war es nicht. Ein korpulenter Mann, ungefähr in Tanos Alter, betrat
mit einem Ausstellungskatalog in der Hand den Salon. In seinem kastanienbraunen
Haar hatte er eine weiße Strähne, und er wirkte eher grobschlächtig. Mit
übertriebenem Interesse betrachtete der Mann einige Drucke, und Tano rückte ein
Stück zur Seite, um ihn nicht hinter sich zu haben. Sie blieben ein paar
Minuten so, gaben vor, die wertvollen Stücke in diesem aus der Vergangenheit
ins 21. Jahrhundert katapultierten Zimmer zu bewundern. Doch Tano war nervös.
Er sah auf die Uhr – noch zehn Minuten bis zur Verabredung. Er ärgerte sich
darüber, dass er so früh ins Auktionshaus gekommen war. Der Mann machte keine
Anstalten zu gehen, und Tano beschloss, den Raum zu verlassen und später
zurückzukommen.
Er wandte
sich der Tür zu, der andere tat das Gleiche, und so trafen sie am Eingang des
Salons aufeinander.
»Bitte,
nach Ihnen«, sagte der Mann mit einer auffordernden Geste. Sein Englisch war
unauffällig, ohne besonderen Akzent, und
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